Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
äußerst bestechlich erwiesen hatte – belehrte sie rasch eines Besseren.
»Das ist die Todeszelle. König Julian ist kein Geizhals – zeigt sich den Leuten gegenüber gern anständig, ja, das tut er. Ist nur recht, wenn einer Gefangenen vor der Exekution noch eine letzte behagliche Nacht gewährt wird.«
»Aber ich hatte nicht einmal einen Prozess! Wie kann ichdann schon zum Tode verurteilt sein? Ich verlange einen Advokaten! Schick meinem Bruder Hänsel eine Nachricht. Er soll den besten Advokaten aufsuchen, den er in Gesternstadt auftreiben kann, und ihn sofort herbringen.«
Der Wärter schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid, das kann ich nicht tun.«
»Ich bezahle dich dafür.«
»Hab deinetwegen schon beim letzten Mal genug Ärger gehabt. Fast hätte ich meine Anstellung verloren, ja, wirklich. Und dabei habe ich die zweite Hälfte von dem, was mir zusteht, bisher noch gar nicht bekommen.«
»Ich zahle großzügig! Das Doppelte … und das, was ich dir noch schulde, natürlich.«
»Das ist das Wagnis nicht wert.« Er knallte die Tür zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Dann tauchte sein Gesicht vor dem kleinen Gitter im oberen Bereich auf. »Morgen früh wirst du als Erstes zu Schmerz gebracht. Er schickt nach jemandem, dem gegenüber du gestehen kannst, wenn du so weit bist. Schlaf gut.«
Gretel ging in ihrer Zelle unruhig auf und ab. Sie musste nachdenken. Auf keinen Fall konnte sie zulassen, dass ein Süßigkeiten kauender Wahnsinniger die neuesten Erzeugnisse bajuwarischer Schmiedekunst an ihr ausprobierte. Während sie durch die Kammer marschierte, ordnete sie ihre Gedanken und legte eine Liste all jener Dinge an, die für sie sprachen. Eine sehr kurze Liste. Ganz oben stand, dass sie überzeugt war, Roland Hund war der Liebhaber von Prinzessin Charlotte. Diese Information musste wertvoll sein, aber reichte sie, ihr den Hals zu retten? Und wem sollte sie diese pikante Neuigkeit anvertrauen? Und wann? Wenn sie ihr Ass zu früh ausspielte, endete sie womöglich trotzdem als Hackfleisch. Undwelchen Beweis konnte sie anführen? Ihr Wort würde gegen das der Lieblingstochter des Königs stehen; eine Konfrontation, die vor viel zu kurzer Zeit für Gretel gar nicht gut ausgegangen war. Der tatterige Monarch würde kein böses Wort über seine kostbare Prinzessin hören wollen. Aber wie sollte sie, Gretel, jetzt noch an einen Beweis kommen? Sie konnte nicht einmal Hänsel eine Nachricht zukommen lassen.
Durchs Fenster drangen die Laute der Handwerker, die unten auf dem Hof zugange waren. Gretel starrte hinaus in die Dunkelheit. Fackeln waren entzündet worden, und so konnte sie die Männer recht gut erkennen, die das Schafott für die bevorstehende Exekution aufbauten.
Die Nacht schien nicht enden zu wollen, und Gretels Träume waren bevölkert von schrecklichen Kreaturen und eisernen Monstern mit fürchterlichen, scheppernden Kiefern, die nach ihr schnappten, als sie versuchte, davonzulaufen. Sie fühlte sich grässlich. Bestimmt sah sie wie eine Vogelscheuche aus. Mit den Fingern fuhr sie sich durch das Zuckerwattehaar, ehe sie ihre Kleider glättete. Nach all den Stunden angestrengten Nachdenkens hatte sie sich eine Art Plan zurechtgelegt. Im kalten, ungeschminkten Tageslicht schien dieser Plan, der zwischen ihr und einem grausigen Tod stand, jedoch nicht allzu verlässlich zu sein.
Gretel straffte die Schultern und holte tief Luft. Jetzt war nicht die Zeit, Schwäche zuzulassen. Als der Wärter die Tür aufschloss, um sie zu Schmerz zu bringen, war sie so bereit, wie sie nur sein konnte.
»Guten Morgen, Fräulein. Los geht’s, frisch wie der junge Frühling. Nun ja, zumindest einer von uns. Also gut«, er rieb sich mit unverhüllter Freude die Hände. »Ich dachte mir, wir fangen mit der guten Sissi Streck an, um dich warmzumachen.Vor anstrengenden Aktivitäten sollte man sich immer erst aufwärmen, nicht wahr? Wir wollen doch nicht, dass du dir einen Muskel zerrst, was? Harhar!« Er lachte die ganze Zeit, während er Gretel zu der gewaltigen hölzernen Vorrichtung führte.
»Wie aufmerksam von Euch«, sagte Gretel und legte sich hin, wie es von ihr verlangt wurde, Arme und Beine ausgestreckt.
Schmerz band ihre Hand- und Fußgelenke fest.
»Kooperationsgeist! Na, das sehe ich gern«, sagte er. »Du und ich, wir werden gut miteinander auskommen. So. Und, fühlt sich das sicher an? Wir wollen ja nicht, dass mittendrin ein Fuß rausrutscht, nicht wahr?«
»Vollkommen sicher,
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