Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
Stillen, sollte es ihr gelingen, sich lebendig aus ihrer misslichen Lage herauszuwinden, würde sie irgendwie eine Begegnung mit Ferdinand von Ferdinand herbeiführen, bei der sie zur Abwechslung einmal nicht auf solch eine lähmende Weise benachteiligt wäre.
»Herr General, ich schätze es sehr, dass Ihr die Zeit gefunden habt, Euch anzuhören, was ich zu sagen habe. Sagt mir, besteht die Gefahr, dass wir belauscht werden?«
Ferdinand zog fragend eine Braue hoch.
»Ich würde es vorziehen, die Information, die ich zu bieten habe, Euch und nur Euch allein zu offenbaren«, flüsterte Gretel.
Der General zögerte nur einen flüchtigen Moment, ehe er den Soldaten, der ihn in die Folterkammer begleitet hatte, mit einer knappen Handbewegung hinausschickte. Dann fiel sein Blick auf Herrn Schmerz, der gerade die Dornen einer Schandmaske justierte.
»Wärst du so gut, uns ebenfalls allein zu lassen, Herr Schmerz?«
»Ich? Aber Herr General, Ihr könntet meine Dienste benötigen«, erwiderte er. Offensichtlich hatte er die Hoffnung, seine Fähigkeiten an Gretel anwenden zu können, noch nicht aufgegeben.
»Sollte das notwendig werden, werde ich dich rufen.«
Widerstrebend ging Schmerz hinaus.
Ferdinand beugte sich zu Gretel hinunter. Ihr ging durchden Kopf, dass er es genießen könnte, sie gefesselt und hilflos vor sich zu sehen. Und nun, da niemand zugegen war, würde vielleicht ein niederer Teil seiner Selbst das Kommando übernehmen. Sie war sich noch nicht schlüssig, ob dies zu einer entsetzlichen Erfahrung führen könnte oder vielleicht zu einer, an der sie selbst Gefallen fände, als Ferdinand erst ihre Arme und dann ihre Beine befreite, um ihr im nächsten Moment die Hand zu reichen.
»Komm«, sagte er. »Suchen wir uns einen bequemeren Platz für unsere Unterhaltung.«
»Eine hervorragende Idee«, sagte Gretel und mühte sich mit aller Eleganz, die sie aufzubieten imstande war, von der erbärmlichen Vorrichtung herunter.
»Ich wollte gerade das Fasten brechen, als ich deine Botschaft erhielt. Vielleicht möchtest du mir bei einem einfachen Mahl Gesellschaft leisten.«
»Eine noch hervorragendere Idee.«
General Ferdinand führte sie aus der Folterkammer und einen verschlungenen Gang entlang zu einigen Steinstufen. Sie passierten etliche Türen, die, wie Gretel mit Erleichterung erkannte, zunehmend weniger Eisenbeschläge und mehr Zierrat aufwiesen. Schließlich erreichten sie einen langen, schmalen Raum. Den längsten und schmalsten Raum, den Gretel je betreten hatte. Bei schlechtem Wetter hätte er sich durchaus als Übungsraum für Bogenschützen geeignet. Derzeit schien er jedoch zur gelegentlichen Nutzung als Speiseraum zu dienen. Hätte die Tafel den Proportionen des Raumes entsprochen, wäre ein Opernglas vonnöten gewesen, um so manchem anderen Gast in die Augen zu schauen. Tatsächlich jedoch stand in dem Raum ein Tisch von gerade fünf Meter Länge, mit allem gedeckt, was für ein Frühstück benötigt wurde, wie Gretel mit Freude erkannte.
Ungewöhnlich für das sonst nicht gerade mit Zurückhaltung glänzende Sommerschloss waren die schlichten, weiß schimmernden Wände, an denen nicht einmal zwei Dutzend goldene Kandelaber hingen. Eine Seite des Raumes wurde von deckenhohen Fenstern eingenommen, weshalb er trotz der frühen Stunde in einem nicht sonderlich schmeichelhaften, hellen Licht badete.
Gretel betatschte wenig zielführend ihr lästiges Haar. Ferdinand schnippte mit den Fingern, woraufhin Diener herbeieilten und einen weiteren Platz am Tisch eindeckten. Dass man sie am entgegengesetzten Ende platzierte, mochte ein Versehen vonseiten des Generals sein, doch Gretel glaubte nicht daran. Ausgehend von dem Eindruck, den sie sich von Herrn Ferdinand verschafft hatte – zugegebenermaßen auf Basis dürftiger Informationen –, war sie überzeugt, dass er nicht zu Versehen neigte. Dass er nichts zufällig oder ohne sorgfältige Überlegung tat. Sie saß am Ende des Tisches, weil das Ende des Tisches exakt der Ort war, an dem er sie sitzen sehen wollte.
Gretel setzte sich auf den dargebotenen Stuhl. Beim Anblick der Speisen grollte ihr Magen laut genug, ein Echo durch die gesamte Länge des Raumes zu jagen. Am anderen Ende des Tisches – am Kopf – schlug General Ferdinand seine Serviette auf und steckte sie in seinen Kragen.
»Also, mein liebes Mädel, was hast du mir zu sagen, das so heikel ist?«
Wie angenehm das Ambiente auch sein mochte, Gretel war klar, dass sehr
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