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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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»Glaub nicht an den Unsinn, den ich dir damals von Mutter erzählt habe, unser Vater hatte sie nur verdächtigt, er war ein schwieriger Mensch, der konnte jeden um den Verstand bringen.«
    Und ging.
    Als die Schwester fort war, öffnete Oleg den Koffer und begann in den Papieren zu wühlen, zwischen denen der Brief gelegen hatte, er fand aber nur einen Umschlag mit einem Foto von der Beerdigung der Mutter. In dem schwarzen Umschlag, in dem Oleg die Fotos der sich entkleidenden Mutter wusste, steckte nur ein kleines schwarzes Blatt Papier, ganz alt und mürbe, und als Oleg es herausziehen wollte, zerfiel es zu Staub.
    Oleg sah die Papiere durch und fand überall Briefe seiner Mutter an den Vater, in denen von Liebe die Rede war, von Treue, von Oleg und wie sehr er seinem Vater ähnele. Oleg weinte den ganzen Abend, die Tränen flossen von selbst aus seinen Augen, und am nächsten Morgen wartete er auf seine Schwester, um ihr zu erzählen, wie verrückt er mit sechzehn Jahren gewesen sei und dass er Dinge gesehen habe, die es gar nicht gab, und deshalb sogar einen Menschen umgebracht hatte, der überhaupt nicht aussah wie auf dem Foto, anhand dessen sie ihn identifizieren sollten.
    Doch die Schwester kam nicht, offenbar hatte sie ihn vergessen, und auch er vergaß sie bald, er war mit seinem eigenen Leben beschäftigt. Er schloss die Berufsschule ab, anschließend die Universität, heiratete und schaffte sich Kinder an.
    Er hatte dunkle Augen, und auch seine Frau war eine dunkeläugige Brünette, doch beide Söhne waren weißblond und hatten blaue Augen – haargenau wie die verstorbene Mutter, ihre Großmutter.
    Eines Tages schlug Olegs Frau überraschend vor, zum Grab seiner Mutter zu fahren. Sie fanden es nur mit Mühe, auf dem alten Friedhof standen die Grabsteine ganz eng beieinander, und auf dem Grab der Mutter entdeckten sie plötzlich einen zweiten, kleineren Grabstein.
    Â»Sicher mein Vater«, sagte Oleg, der beim Begräbnis des Vaters nicht dabei gewesen war.
    Â»Nein, lies doch, das ist deine Schwester«, entgegnete seine Frau.
    Oleg erschrak, wie hatte er seine Schwester nur so vergessen können, er beugte sich über die Tafel und las die Inschrift. Es war tatsächlich seine Schwester.
    Â»Nur den Todestag haben sie verwechselt«, sagte er, »meine Schwester ist lange nach diesem Tag bei mir gewesen, schon nach der Armee. Ich habe dir doch erzählt, sie hat mich wieder auf die Beine gestellt, sie hat mir buchstäblich das Leben zurückgegeben. Ich war jung und bin gleich bei jedem bisschen durchgedreht.«
    Â»Das kann nicht sein, die verwechseln keine Daten«, erwiderte seine Frau. »Du bist es, der alles durcheinanderbringt. In welchem Jahr bist du aus der Armee entlassen worden?«
    Und sie standen am Grab und fingen an zu streiten, das Grab war vernachlässigt und völlig überwuchert, und das Unkraut, das den Sommer über hochgeschossen war, kitzelte ihre Knie, bis sie gingen.

#
    Hygiene
    Eines Tages klingelte es bei der Familie R., und das kleine Mädchen machte auf. Vor der Tür stand ein junger Mann, der im Treppenhauslicht irgendwie krank aussah, seine Gesichtshaut war dünn und glänzte rosa. Er sagte, er käme, um vor der drohenden Gefahr zu warnen. Angeblich wäre in der Stadt eine Epidemie ausgebrochen, eine Viruskrankheit, an der man innerhalb von drei Tagen sterbe. Der Körper schwelle an und so weiter. Ein Symptom sei das Auftreten einzelner Wasserbläschen oder einfach Knoten. Es gäbe Hoffnung, am Leben zu bleiben, wenn man die Regeln der Körperhygiene streng einhalte, die Wohnung nicht verlasse und keine Mäuse hätte, denn Mäuse seien wie immer die Hauptansteckungsquelle.
    Das hörten sich Großvater und Großmutter, das kleine Mädchen und ihr Vater an. Die Mutter war im Badezimmer.
    Â»Ich habe die Krankheit hinter mir«, sagte der junge Mann und nahm seine Mütze ab. Er hatte einen völlig kahlen, rosa Schädel, den eine hauchdünne Haut überzog, die aussah wie Haut auf gekochter Milch.
    Â»Ich habe überlebt, ich brauche eine Ansteckung nicht mehr zu fürchten, deshalb gehe ich von Tür zu Tür und bringe Leuten Brot und Vorräte, wenn etwas fehlt. Haben Sie was im Haus? Geben Sie mir Geld, ich kaufe für Sie ein, und eine große Tasche, wenn Sie haben – eine mit Rädern. Vor den Läden stehen schon lange Schlangen,

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