Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
Anne.
„Mama?“, fragte Dot auf einmal mit beunruhigtem Tonfall.
Bragg kniete sich neben ihr hin. „Mama ist müde und wird nach Hause gebracht.“ Er strich ihr übers Haar. „Wir picknicken zu Ende, und dann gehen wir auch.“
Dot grinste wieder und hielt ihre blonde Puppe hoch. „Dolly Frack!“, rief sie.
„Ich glaube, sie hat ihre Puppe Dolly jetzt nach dir benannt“, meinte Bragg zu Francesca gewandt.
Francesca hielt das einfach nicht aus. Er litt, und Leigh Anne litt ganz offensichtlich nicht minder. „Wie kann ich bloß helfen?“, wollte sie wissen. „Es muss doch irgendetwas geben, was ich tun kann!“
Er zuckte hilflos mit den Schultern und wandte sich ab. Francesca lief ihm nach. „Was ist los zwischen euch?“, fragte sie energisch und griff nach seinen Armen.
„Ich weiß es nicht“, antwortete er mit traurigem Blick.
Sie zog ihn in seine Arme, und er legte seine Wange auf ihre Schulter, während er sie leicht umfasste. „Rick, es tut mir so leid“, flüsterte sie voller Verzweiflung.
„Ich weiß nicht, was ich machen soll“, erklärte er mit erstickter Stimme.
Francesca drückte ihn fester an sich. „Ich auch nicht“, gab sie zurück und berührte seine Wange mit ihrer.
Er wusste genau, wie klug und mutig Francesca Cahill war. Er hatte alles gelesen, was über ihre Taten in den Zeitungen geschrieben stand. Er hatte sie sogar für ihren Mut bewundert, dass sie der Polizei half, Mörder ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Doch jetzt konnte er nicht anders, als schockiert zu sehen, wie sie in Rick Braggs Armen lag, obwohl sie mit einem anderen Mann verlobt war. Sie war ein treuloses Weibsbild, so wie die anderen auch.
Seine Finger zuckten.
Sein Herz schlug wie wild.
Er spielte mit dem Messer in seiner Hand, nahm es aber kaum wahr.
Wie konnte das nur möglich sein? Wie konnte sie genauso eine Hure sein wie die anderen?
Er wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte seine Pläne geschmiedet. Er wusste, welche Weibsbilder er bestrafen sollte. Doch nun begann er, über die Frage nachzudenken, die ihm mit einem Mal auf den Nägeln brannte: Was sollte er mit ihr machen?
Als sie mit ihrer Wange die von Bragg berührte, kannte er die Antwort.
20. KAPITEL
Samstag, 26. April 1902
18 Uhr
„Mr Hart? Sir?“, fragte eine zaghafte weibliche Stimme.
Hart saß an seinem Schreibtisch in der Bibliothek, hatte sein Jackett abgelegt und die Hemdsärmel bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Er kalkulierte ein weiteres Mal die Ausgaben, die bei seinem anstehenden Geschäft mit Hongkong anfallen würden, und war so in seine Arbeit vertieft, dass er einen Moment brauchte, ehe er Maggie Kennedy wahrnahm, die in der Tür stand. Ein wenig erschrocken sah er auf.
„Ich sehe gerade, dass ich störe“, sagte sie errötend. „Ich komme später noch einmal her.“
„Nein, bitte!“, rief Hart und stand rasch auf, während er die Hemdsärmel wieder herunterstreifte und nach seinen goldenen, mit Rubinen verzierten Manschettenknöpfen griff. „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Mrs Kennedy? Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?“
Erstaunt sah sie ihn an. „Ja, selbstverständlich, Mr Hart. Ihre Gastfreundschaft ist einmalig, ja, sogar ein wenig überwältigend.“ Sie stand weiter in der Tür, und Hart sah, dass sie mit einer Hand nervös mit dem Stoff ihres Rocks spielte.
„Kommen Sie doch bitte herein“, sagte er, während er den ersten Manschettenknopf erfolgreich eingesetzt hatte.
Sie machte zwei Schritte nach vorn, mied es, Hart direkt anzusehen, und fragte: „Wie kann ich mich für Ihre Großzügigkeit erkenntlich zeigen, Sir?“
Vor Überraschung wusste er nicht, was er darauf erwidern sollte. Gerade wollte er erklären, es gebe keinen Grund, um sich erkenntlich zu zeigen, da kam Joel ins Zimmer gestürmt. „Hey, Mr Hart“, rief er. „Hallo, Ma, ich bin wieder da.“
Maggie packte ihren Sohn an der Schulter, um ihn zu stoppen. „Du bist hier nicht zu Hause“, ermahnte sie ihn. „Und wo warst du den ganzen Nachmittag?“
Hart hatte ihn das Gleiche fragen wollen, da er wusste, dass Joel mit Francesca unterwegs gewesen war, um weitere Nachforschungen anzustellen. Er kam um den Schreibtisch herum und gab die Versuche mit dem anderen Manschettenknopf auf, auch wenn sein Arm nun bedeckt war. „Bist du jetzt gerade mit Miss Cahill zurückgekommen?“, wollte er wissen. Es war bereits sechs Uhr, und da er sie schon in einer Stunde zum Essen abholen wollte, würde sie in jedem
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