Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
Frau erwischt? War er grausam oder gewalttätig zu ihnen?“
„Ob sie ihn mit einer anderen Frau erwischt hat?“ Rose lachte bitter auf, beinahe hysterisch. „ Sie war die andere Frau.“
Einen Moment lang begriff Francesca den Sinn ihrer Worte nicht.
Bragg fragte: „Wissen Sie, was Sie da sagen?“
Rose nickte. „Sie war noch ein Kind. Sie war zwölf, als es anfing – das hat sie mir jedenfalls gesagt. Als sie zwölf war, kam Gillespie zu ihr ins Bett.“
19. KAPITEL
Freitag, 6. Juni 1902
12.00 Uhr
Endlich begriff Francesca. Daisy war von ihrem Vater missbraucht, vielleicht sogar vergewaltigt worden. Kein Wunder, dass sie von zu Hause fortgelaufen war.
„Es kann sein, dass Sie das vor Gericht bezeugen müssen, Rose“, sagte Bragg.
Sie nickte und wischte sich über die Augen.
„Hast du gewusst, dass Gillespie letzten Monat in der Stadt war?“, fragte Francesca.
„Sie hat es nie erwähnt, ebenso wenig wie das Geld und die Schwangerschaft“, flüsterte Rose heiser.
Ohne nachzudenken stürzte Francesca zur Tür und riss sie auf. Bragg rannte ihr hinterher. „Warte! Lass mich das lieber machen.“
Aber Francesca lief weiter. „Wie viel wettest du darauf, dass Daisy ihren Vater erpresst hat? Kein Wunder, dass er behauptet hat, sie nicht zu kennen!“
Kurz vor seiner Bürotür hielt Bragg sie am Arm zurück. „Du bist zu aufgewühlt, um ihn zu verhören!“
„Aufgewühlt? Das drückt meine Gefühle nur ungenügend aus – ich bin bereit, einen Mord zu begehen! Dieser Mann verdient die Todesstrafe, Rick.“
„Es gibt keine Todesstrafe für Belästigung oder Vergewaltigung.“
„Nein, aber es gibt sie für Mord.“ Damit wandte sie sich um und stieß die Tür auf.
Gillespie stand am Fenster und sah hinaus. Als er sie hörte, drehte er sich um. „Kann ich jetzt gehen?“
„Das glaube ich nicht“, schnaubte Francesca.
Bragg nahm ihren Arm. „Ihre Tochter hat Sie erpresst, nicht wahr?“
Erschrocken trat Gillespie zurück. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“
Francesca schüttelte Bragg ab. „Wir wissen, warum sie weglief. Und wir haben eine Zeugin – Daisys beste Freundin –, die vor Gericht bezeugen wird, dass Sie Ihre Tochter belästigt haben, seit sie zwölf Jahre alt war.“
Sekundenlang starrte Gillespie sie an, und dann schien sein Gesicht in sich zusammenzufallen.
„Sie schrecklicher, abscheulicher und unmenschlicher Mann!“, rief Francesca bebend vor Wut und mit Tränen in den Augen.
„Francesca, hör auf“, sagte Bragg sanft.
Gillespie ließ sich auf einen Stuhl fallen und begann leise zu weinen.
„Haben Sie nichts zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“, fuhr Francesca ihn an.
„Ich wusste nicht, dass sie mich so sehr hasste, bis ich ihr letzten Monat begegnet bin“, flüsterte er, ohne aufzusehen. „Ich liebte sie. Ich liebte sie so sehr. Und sie hasste mich. Sie sagte so hässliche Dinge. Sie erzählte mir, dass sie eine Hure sei und von all den Männern, die sie gehabt hatte. Sie war so grausam, so voller Hass! Und dann wollte sie Geld. Ich hatte es nicht einmal, doch sie drohte mir. Meine schöne, wunderschöne Tochter! Ich liebte sie und wollte ihr niemals wehtun … Ich träumte davon, dass sie eines Tages zurück nach Hause käme. Ich wollte nicht, dass dies alles geschieht.“ Flehend sah er Francesca an. „Ich liebe sie.“
Francesca war übel, doch sie konnte den Blick nicht abwenden von dem zitternden, verdorbenen Mann, der da im Stuhl vor sich hin schluchzte. „Rick, er hatte ein Motiv und die Gelegenheit.“
„Richter, ich fürchte, Sie werden nicht gehen, noch nicht“, sagte Bragg. „Ich bin sicher, Sie kennen das Gesetz. Ich kann Sie vierundzwanzig Stunden festhalten, und genau das werde ich tun.“
Als er den Sinn der Worte begriff, sprang der Richter auf. „Sind Sie noch bei Verstand? Ich habe es nicht getan! Ich habe meine wunderschöne Tochter nicht ermordet!“
Sehr langsam und mit dem Gefühl, dass sie viel älter als einundzwanzig war, ging Francesca den Flur des sechsten Stocks entlang, wo die Gillespies ihre Suite hatten. Sie hatte einen Kloß im Hals und verspürte den Drang, sich in Harts Arme zu flüchten, wo sie um Daisys Leben weinen konnte, doch das würde den Fall nicht lösen. Ohne Zweifel hatte Daisy ihren Vater genug gehasst, um ihm damit zu drohen, ihn bloßzustellen – und sich dazu. Das Problem bestand darin, dass Gillespies Leugnen aufrichtig geklungen hatte. So krank und sexuell verdorben er auch war,
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