Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)
ausüben. So haben hier zwischen 2001 und 2008 vierzig Schülerinnen ihr Abitur gemacht. Jetzt aber kehren wir zurück zu Kriegen und Unruhen.
Der Feind liegt auf der Lauer und zerstört die Ruhe und das Glück mit Selbstmordattentaten. Und das geschundene Volk Afghanistans ist seit Jahren immer auf der Flucht vor dem Tod und hat Angst. Es sehnt sich nach Frieden und befürchtet eine unsichere Zukunft. Die Situation der afghanischen Flüchtlinge ist schlimmer, und auch ist alles teurer geworden: die Mieten, die Lebensmittel, Medikamente, Arztbesuche. Alles ist zu mehr als hundert Prozent teurer geworden – und bisweilen verlangt man hier wahre Wucherpreise.
Heimatlosigkeit, Angst vor Armut, Angst vor Tod durch Selbstmordattentäter bestimmen unser Leben, und dazu die Sehnsucht nach einem Leben in friedlichen Ländern. Doch das ist uns verwehrt. Das unmenschliche, brutale Verhalten der pakistanischen Polizei gegenüber den afghanischen Flüchtlingen macht die Situation für viele von ihnen ungerecht und unsicher. Die pakistanische Polizei verhaftet junge afghanische Flüchtlinge unter so ungerechten Vorwänden wie dass ihre Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sei oder nicht mehr verlängert würde. Die pakistanische Polizei übt Repressalien aus und erpresst häufig Geld von den Flüchtlingen.
Diesen ganzen Druck halten wir nur um der Zukunft unserer Kinder willen aus. Wir müssen ihn aushalten, da das Lernniveau in Kabul sehr niedrig ist. Dafür ist hier die Moral der Jungen und Mädchen in Gefahr. Sie werden bedroht. Kleine Jungen und Mädchen werden von Verbrechern vergewaltigt. Keine Wohnung, kein sauberes Trinkwasser und kaltes Wetter in Afghanistan zwingen viele afghanische Flüchtlinge, in Pakistan zu bleiben. Dies ist das Leben der Flüchtlinge auf beiden Seiten der Grenze.
Aber zwischen den Feinden der Menschen gibt es Menschen mit großem Herzen und einer Seele voller Liebe und Empathie. Solche Menschen in allen Ländern sind Retter, Gefährten und Führer einer Karawane und wahre Menschenfreunde. Sie schätzen jeden Blutstropfen des Menschen, und wir sagen: »Den Wert des Goldes weiß nur ein Goldschmied.« Solchen Menschen ist der Wert einer jeden menschlichen Eigenschaft bewusst.
Ihre Freundin Fauzia Azimi, Schulleiterin, Peschawar.«
Ich erinnere mich: Als ich 2005 zum ersten Mal nach Afghanistan kam, da hatten mich die Straßenkinder zu diesem weiträumigen Platz am Stadtrand geführt, mit seinen verstreuten Fußballtoren, dazwischen weidende Kühe. In den Händen hielten die Kinder Sandaletten, angefressene Fingerbrotfladen, leere Kanister. Diese Kindergesichter waren, wie ich nie welche gesehen hatte, kindlich, im stürmischen Temperament dauernd begeistert, und zugleich alt, mit Tränensäcken und tief eingefressenen Falten um die Augen, um den Mund. Alte Weiber in Kinderkörpern. Auf einem Areal von über einem Quadratkilometer stürzten sie sich auf jede fremde Erscheinung, mal mit dem Schuhputzkasten, mal mit dem Wasserkanister, aus dem sie flaschenweise Rationen für die Sportler abfüllten, mal nur aus Neugierde oder in der Hoffnung, etwas, irgendetwas zu erbeuten.
Sie waren vielleicht acht Jahre alt, vielleicht jünger, verstanden sich aber schon auf das Mitleiden, auf das Schuhmacherhandwerk und die Kunst des Überlebens. Manchmal aber übten sie sich sogar in ganz profanen Vergnügungen: Ringe werfen über Zigarettenschachteln, dem Führen eines Plastikpanzers durch den Staub. Manchmal sammelte sich ein Grüppchen um eine Taschenlampe, ein Kartenspiel, ein Brillengestell, und so standen sie da, Kinder im Sonntagsstaat, die meisten mit jenen Narben, die das Messer in geöffneten Eiterbeulen nach Schmutzinfektionen hinterlässt – neben Wurminfektionen, Parasitenbefall, Typhus, Hepatitis und Malaria eine der verbreiteten Erkrankungen.
Auf der anderen Seite des Feldes lag das große Sportstadion, wo die Kinder die Athleten mit Wasser versorgten und sich so ein paar Münzen verdienten. Das Brot hatten sie ausländischen Soldaten für fünf Afghani abgekauft, stillten damit aber zunächst einmal den eigenen Hunger.
Diese Kinder kamen von außerhalb der Stadt, bestiegen in der Frühe den Minibus, flogen aber, weil sie meist nicht bezahlen konnten, rasch wieder raus.
»Kennt ihr eigentlich die Fußballerinnen, die hier trainieren?«, wollte ich wissen.
»Wir waren sogar schon in ihren Zimmern.«
Der Anführer blickte kühn. Wir ließen uns von ihm ins Stadion führen, einen
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