Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)
schicke meine Kinder zur Schule. Mein Ehemann sagt, wenn Sie nach Ghasnie kommen, möchte er Sie einladen, und ich werde, wenn es geht, für Sie Kleidung nähen, wenn ich Ihre Maße habe, oder bringen Sie mir Ihre Kleidung, und ich nähe sie nach diesem Vorbild.«
»Ich heiße Mahtab und mein Vater heißt Schahbaz. Ursprünglich komme ich aus der Provinz Kunduz. Zur Zeit lebe ich in Dascht-Abad in Peschawar in einem Mietshaus. 1983 habe ich geheiratet und wohnte mit meinem Mann in Khanabad in Kunduz. Wir waren glücklich. Drei Jahre nach unserer Hochzeit hat man meinen Mann zum Militärdienst einberufen. Während des Dienstes wurde mein Mann durch Minen-Explosionen sehr verletzt. Um meinem Mann zu helfen und ihn behandeln zu lassen, haben wir unser Hab und Gut verkauft und sind in den Iran gegangen. Dort wurde er behandelt und ein Arm amputiert. Wir haben vier Jahre lang im Iran gelebt und sind dann nach Pakistan gereist. Seit zehn Jahren sind wir nun in Pakistan. Unser Leben ist hier sehr bitter. Mein Mann arbeitet in einem Restaurant. Da er behindert ist und nur einen Arm hat, wird er sehr schlecht bezahlt. Von dem, was er verdient, können wir nicht leben. Ich habe von der Honar-Ausbildungsstätte gehört und bin dorthin gegangen. Sie haben mich als Schülerin genommen. Seit vier Monaten arbeite ich hier und habe sehr viel gelernt. Ich bemühe mich sehr, dass ich besser werde. Ich kann jetzt einige Sachen selber schneidern. Ich wünsche mir sehr, dass ich eine gute Schneiderin werde, damit ich Geld verdienen und meiner Familie helfen und meinem Volk als Schneiderin dienen kann. Ich bin auch dabei, Lesen und Schreiben zu lernen. Jetzt kann ich schon manche Wörter entziffern und meinen Namen sowie die Namen der Familienmitglieder schreiben.«
»Ich heiße Arifa Mohamad Rahim und bin im zwölften Schuljahr in der Schule, die ich schon seit dem ersten Jahr besuche. Ich möchte in der Zukunft Ingenieurin Arifa genannt werden. Momentan lerne ich nur für die Schule, aber nach dem Beenden des zwölften Schuljahres möchte ich Computer Sciences studieren. Ich möchte so lange studieren, bis ich keine Wissenslücken mehr habe. Meine schönste Erinnerung bewahre ich an die Reise nach Afghanistan. Ich konnte zum ersten Mal den schönen Kabuler Fluss und die herrlichen hohen und mit Schnee bedeckten Berge sehen. Ich staunte über diese Schönheit. Meine dunkelste Erinnerung habe ich an die Menschen, die bei dem sehr kalten Wetter in Zelten leben mussten. Sie hatten kaum etwas zum Anziehen und sogar nichts zum Essen. Und jetzt muss ich fleißig meinen Landsleuten in Afghanistan helfen und in der Gesellschaft eine gute hilfsbereite Person sein. Bevor ich zu Bett gehe, verrichte ich das Nachtgebet. Ich gehe mit meiner Zeit sorgfältig um und lasse nicht zu, dass sie ungenutzt bleibt.«
Die Schneiderin Salima schließlich schreibt: »Ich war Schülerin, und meine wirtschaftliche Lage war schlecht. Mein Mann ist drogenabhängig und kann nicht arbeiten. Dadurch war das Leben für meine Kinder elend. Von dem Gehalt als Schneiderin konnte ich meinen Kindern Schulbücher und Hefte kaufen. Nach der Beendigung meiner Ausbildung im Schneiderei-Kurs bekam ich eine Nähmaschine und eine Schere. Mein Leben wird von Tag zu Tag besser.«
Die Situation der Frauen, so scheint es, wird insgesamt von Tag zu Tag besser. Doch ist das Vertrauen in diese Entwicklung brüchig. Wen wird dies wundern, angesichts der vielen Enttäuschungen der Vergangenheit? Jeder politische Rückschritt war immer zugleich einer bei der Entwicklung der Gleichstellung.
Unter der Herrschaft von König Amanullah von 1919 bis 1929 kam es zum ersten Wendepunkt der Frauenbewegung in Afghanistan. Das unter ihm erlassene Ehe- und Heiratsgesetz sprach den Frauen rechtliche Gleichheit zu, erste Mädchenschulen wurden gegründet und das Tragen europäischer Kleidung angeordnet. Zu rasch für seine Zeit, überforderte er die konservativen Kräfte mit seinen Reformen. Er wurde gestürzt, alle Mädchenschulen mussten schließen. Dennoch gilt seine Verfassung als Vorbild für nachfolgende Regierungen. 1959 wurde während der Amtszeit des Ministerpräsidenten Daud das Tragen des Ganzkörperschleiers abgeschafft, 1964 unter König Zahir Schah eine neue Verfassung eingeführt und damit das Wahlrecht für Frauen. Frauen besetzten selbst Ministerämter.
1973 wurde Zahir Schah vom ehemaligen Ministerpräsidenten Daud abgesetzt und Afghanistan zur Republik erklärt. Sichtbar war die
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