Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)
Bereitschaft, die Taliban überhaupt aufzunehmen? Warum besetzen jene, die mit mir im Land bleiben, keine Führungspositionen? Warum haben sie keinen Einfluss?«
Sie selbst lebte zeitweise im Iran, nahm an der Grünen Revolution teil, wurde verhaftet und verhört und musste das Land innerhalb von 48 Stunden verlassen. In Afghanistan berät sie heute den Innenminister, arbeitet für die Vereinigung der Waisenhäuser, »und wenn der Minister meine Gefühle nicht durcheinanderbringt, kann ich ein paar Stunden konzentriert schreiben. Mein Mann unterstützt mich. Aber unter Bedingungen. Ich muss mich dauernd erklären, wie ich lächele, wen ich ansehe. Von den Drohungen, die mich erreichen, sage ich meinem Mann nichts. Er würde sie nur fürchten. In seinem Kopf sind immer die Taliban. Wissen Sie: der Talib ist der Gedanke der Einschränkung, nicht der Mann, der sich so nennt. Ich begegne den Taliban also vielleicht nicht leibhaftig, aber ihren Denkformen begegne ich selbst in der eigenen Familie.«
»Haben Sie je Feministen unter den afghanischen Männern getroffen?«
»Doch, es gibt Männer, die auf unserer Seite sind. Aber die meisten schimpfen eher: Du machst alles kaputt, wir bringen dich um. Bei allen Schwierigkeiten, die uns die Männer bereitet haben, haben sie sich diese Probleme ja auch selbst bereitet.«
Es ist dieser Kampf auf mehreren Linien, der ihr Leben bestimmt.
»Ich wollte nicht das klassische afghanische Frauenleben. Ich wollte nicht wie meine Mutter leben. Früher haben hier viele Frauen geschrieben. Doch kaum bekamen sie Kinder, waren sie weg. Ich weigere mich, Kinder zu bekommen und in diese Rolle zu fallen. Manchmal wünsche ich mir weiße Haare, um Respekt zu bekommen, und wenn ich Auto fahre, möchte ich nicht beschimpft werden.«
»Hat je die US-amerikanische oder europäische Frauenbewegung Kontakt mit Ihnen aufgenommen?«
Sie lacht.
»Nie. Keine.«
Dass sie lange gekämpft habe, sagt sie, dass sie müde werde. Und dann überraschend: Den Islam in Afghanistan, den könne man schon reformieren und liberalisieren. Die Kultur dagegen sei fester gefügt und unwandelbar. An ihr arbeite sich jede und jeder vergeblich ab.
Als sie aufbricht, um sich in der Nacht von Kabul an das Steuer ihres Wagens zu setzen, ist klar, dass sie es selbst in diesem unscheinbaren Moment mit nicht weniger als der Kultur des Landes aufnimmt.
Sosehr die jungen Frauen darum ringen müssen, sich einen Weg in die Unabhängigkeit, die Selbständigkeit, die Berufswelt zu bahnen, man findet, zumal in den Städten, nicht mehr viele Väter, die den Wert der Alphabetisierung, des Schulunterrichts nicht verteidigten, und auch sie können sich auf die Geschichte berufen.
Die traditionelle Erziehung in Afghanistan reicht weit in die Zeit vor dem Islam zurück in die Zeit der Arier, also ab etwa 1000 vor Christus. Bis zum siebten Jahrhundert nach Christus dominierte der Buddhismus, danach gewann der Islam vorherrschende Bedeutung. Im elften Jahrhundert gab es unter Sultan Mahmud dem Großen zweitausend Grund- und Mittelschulen sowie zwei Universitäten. Mit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts erstellte der Staat Curricula. Der Stundenplan sah im ersten Schuljahr vor: Arabische Grammatik, Rhetorik, Arithmetik, Kalligraphie, Regeln der Koranrezitation, Ethik. Im zweiten Jahr: Dogmatik und Islamisches Recht, Arabische Grammatik, Arabischer Wortschatz, Arithmetik, Grundlagen der Geometrie, Kalligraphie, Regeln der Koranrezitation, Ethik und Staatsbürgerkunde. In den nächsten drei Jahren kamen dann Logik, Literatur und Geschichte, Orthographie und Formulierung, Grundlagen der Scholastik, Afghanische Geschichte, Geographie, Tradition der Propheten, Philosophie, Physik, Korrespondenz und Textabfassung dazu.
Die erste moderne Sekundarstufe wurde schon von Amir Habibullah im Jahr 1903 gegründet, wenige Jahre später gab es einen Erziehungsrat zur Überwachung des Unterrichts, der Herausgabe von Lehrmaterialien, zum Erlassen der Lehrpläne und zur Kontrolle der Prüfungen sowie der Hygiene. 1912 wurde die erste Lehrerbildungsstätte eröffnet, sie begann mit hundertzwanzig Studenten. 1921 wurde in Kabul die erste Mädchenschule errichtet, König Amanullah, der Begründer des modernen Staatswesens Afghanistan, erließ sogar ein Gesetz, das auch die Mädchen zum Schulbesuch verpflichtete. Mit den Taliban sind diese Errungenschaften des liberalen Islams revidiert worden, und manche Frauen-Biographie hat sich aufgerieben zwischen
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