Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)
geschundenen Ort, an dem ehemals die Taliban ihre Gegner während der Halbzeitpausen exekutierten. Der Junge beobachtete unsere Gesichter, sagte dann:
»Für euch sieht das dreckig aus, für mich ist es das Paradies.«
Aber nicht der Dreck, die Geschichte entstellte den Ort.
Die Kinder sind immer noch da, ihre Routine ist unverändert, und auch der Rasenplatz sieht aus wie vor Jahren. Es regnet noch immer diesen überraschenden warmen Septemberregen, als wir im Stadion ankommen, wo gerade die Frauenfußballnationalmannschaft trainiert. Hatte ich sie beim letzten Besuch noch in der Halle spielen sehen, so erlebe ich die Frauen heute im Freien, und das trotz der Temperaturen: Wenn der Regen mal aussetzt, misst man vierzig Grad im Schatten. Die Frauen tragen zwar alle Kopfbedeckungen, manchmal bloß ein Schweißtuch, eine Baseballkappe, einen Schal oder die Flagge Australiens, auch sind ihre Arme und Beine bedeckt, aber der Platz liegt offen zwischen den Tribünen. Es sehen Männer zu, und mir fällt die Schuldirektorin ein, die zuletzt noch gebeten hatte, wir mögen ihr einen Meter Mauer schenken, damit sie höher bauen und damit die Männer daran hindern könnten, den Mädchen beim Sport zuzusehen.
»Sehen keine Männer zu«, sagen die Frauen der Nationalmannschaft, »spielen wir manchmal sogar kurzärmelig.«
Nur schamhaft, nur gefährdet hatten sie ihren Sport betrieben, waren auf der Straße manchmal mit Steinen beschmissen worden, wenn sie vorbeiradelten auf dem Weg zum Sportplatz. Heute toben sie durch den Regen, probieren Spielzüge aus, während der alte Nationaltorwart die beiden Torhüterinnen trainiert. Eine von beiden verbringt gerade ihre letzten Tage hier. Sie wird nach Norwegen ziehen und heiraten. Ihre Nachfolgerin ist nicht so beherzt wie sie, sondern sagt, immer habe sie auch ein wenig Angst vor dem Ball.
»Stell dich der Aufgabe«, ruft der Trainer, »nimm den Ball als willkommene Überraschung, und das Wichtigste ist: Du musst mit den Füßen tanzen.«
Man weiß bei seinen Anweisungen nie genau, ob er mehr vom Fußball oder von der Lebenskunst spricht.
Doch dann schleppt sich die Torfrau vom Feld mit den Worten:
»Ich habe brennende Füße!«
Der Kunstrasen heizt sich zwischen den Schauern noch mehr auf, man kann ihn ohne Schuhe kaum mehr berühren.
»Doch das ist noch gar nichts«, sagt eine, »wir haben schon unter heißerer Sonne gespielt.«
Der Trainer macht sich Sorgen um den Gesundheitszustand seiner Schützlinge.
»Sie hungern zu viel«, sagt er, »kriegen meist nicht mal Milch. Aber immerhin werden die Zeichen der Traumatisierung durch den Krieg in jedem Jahr weniger.«
Die Aufbauarbeit ist trotzdem schwierig, denn kaum heiraten die Mädchen, kommt es vor, dass ihre Männer ihnen den Sport verbieten.
Frauenrechte, hatte mir einmal eine Feministin gesagt, das möge zwar wie ein Luxusthema klingen, aber der Programmbedarf der vielen Rundfunkstationen sei hoch, und so brächten sie doch immer wieder feministische Beiträge unter, die auch in den afghanischen Bergen gehört würden. Ich verabrede mich diesmal mit Homeira Qaderi, einer jungen feministischen Schriftstellerin, in einem unscheinbaren Restaurant im nächtlichen Kabul. Sie ist mit dem eigenen Wagen gekommen, hat selbst am Steuer gesessen, eine zarte, energische Frau mit vollendetem Kleidungsstil, die Einzige, die im Fernsehen über Literatur spricht.
»Ich habe Sie auf YouTube gesehen«, sage ich.
»Dann kennen Sie ja meine Bluse schon«, erwidert sie.
In der Tat, da saß sie genau wie hier, grün-weiß gestreift. So saß sie auch ehemals auf der Petersberger Konferenz in Bonn und sprach über Frauenrechte und gesellschaftliche Probleme.
»Es gab Reden«, sagt sie resigniert, »Konsequenzen gab es kaum. Es gab jede Menge Selbstdarstellung und keinen Pragmatismus.«
Qaderi war vierzehn, als sie zu schreiben begann und als die Taliban an die Macht kamen. Ihre erste Erzählung erschien unter einem Pseudonym in der Zeitung. Doch sie flog auf, und ihr Vater kaufte alle Zeitungen auf vor Angst.
»Die Taliban ermahnten mich, drohten, sie würden mich auspeitschen.«
Sie kam davon, duckte sich weg, doch unter Tränen.
»Die schönste Zeit meines Lebens musste ich unter der Burka verbringen. Wir waren einmal drei Freundinnen. Die beiden anderen aber haben sich inzwischen selbst verbrannt.«
Qaderi war zwanzig, als die Taliban gingen, und sie schrieb immer noch und stellte Fragen:
»Warum nur hatten wir diese
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