Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)
Frauenemanzipation eher in den Städten als auf dem Land. 1978 wurde Daud bei einem Putsch getötet. Die an Moskau orientierten Militärs übernahmen. Zwar bestanden sie weiter auf Frauenbefreiung, doch wurde diese zu dogmatisch und ohne Einbeziehung des Volkes durchgesetzt, so dass sich Widerstand vor allem bei der ländlichen Bevölkerung regte. Knapp sechs Millionen Menschen flüchteten in die Nachbarländer Pakistan und den Iran. Auch mit den Mitteln des wahhabitischen, saudiarabischen Islams, der wenig mit dem in Afghanistan praktizierten liberalen Islam zu tun hatte, wurden die Frauen unterdrückt. Als 1992 die islamischen Konservativen an die Macht gelangten, setzten sie die frauenfreundliche Verfassung außer Kraft und ordneten das Tragen des Schleiers an.
Den Nachwirkungen der sowjetischen Besatzung begegnet man heute noch überall. Wenn nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen im Jahr 1979 die Zahl der berufstätigen Frauen stieg, so hatte dies auch politische Gründe: Da so viele Männer im Krieg waren, mussten die Frauen vermeintliche Männerberufe übernehmen. Der Begriff »Demokratie« aber wird heute noch vielfach für eine sowjetische Hinterlassenschaft gehalten, und gerade die Alten behandeln auch Fragen der Frauenemanzipation nicht selten als Erbe des russischen Regimes und lehnen deshalb eine Auseinandersetzung mit solchen Fragen des Menschenrechts ab. So hat eine heute fünfzigjährige Frau schon mehrere Epochenwechsel der Emanzipation erlebt, verschärft in vielen Fällen noch durch die Situation des Exils.
Einmal schrieb Fauzia Azimi, die Leiterin einer Mädchenschule für Flüchtlinge im pakistanischen Peschawar, um Nadia Nashir und mir ihre Situation zu erklären. So klang ihr eindrucksvoller Bericht: »Falls mein Brief zu lang wird, möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen. Wir, die afghanischen Flüchtlinge, leben in Pakistan, und trotz unseres beschwerlichen Lebens im Lager samt der Verteilung der knappen Lebensmittel und trotz des Fehlens von Elektrizität (bis zu neun Stunden am Tag fällt der Strom aus) hassen wir unser Land nicht. So ist es nicht, wir lieben unser Land. Das Schicksal, die Gewalt der Mächtigen und der Kidnapper, der Angriff der Kriminellen auf das Leben und die Ehre der Menschen, das niedrige Bildungsniveau in den Schulen, die fehlenden Möglichkeiten zur medizinischen Versorgung, das Fehlen von Jobs und die hohen Mieten, dies alles sind Gründe, warum viele Flüchtlinge lieber in Pakistan bleiben. Wenn Gott möchte, wenn die düsteren Wolken weggeblasen sind und unser Himmel wieder erhellt und frei ist und wenn wir uns sicher fühlen, dann kehren wir alle zurück. Ich hoffe, dass dieser Tag nicht sehr weit entfernt ist. Damit wir nicht sagen:
Wegen meiner Lieben verlasse ich das Land.
Wenn auch mein Land ein Paradies ist, verlasse ich es.
Die Luft des Gartens hat meine Flügel verbrannt.
Den Garten überlasse ich den Vögeln des Gartens.
Mein Land hält mich fest am Hals und ich mich an seinem Rockzipfel.
Weder lässt es los noch ich.
Mein Liebster, ich sage dir ›Auf Wiedersehen‹.
Ich lasse dich betrunken in der Gesellschaft zurück.
Darf ich Sie meine Freunde nennen? Denn das Wort ›Freund‹ ist von Größe und gilt der Person in allen Lebenssituationen, sowohl in Anwesenheit als auch in Abwesenheit, einer Person, die in traurigen und freudigen Momenten immer da ist, damit niemals eine Lücke in der Zwischenzeit entsteht. Ich wünsche mir, dass alle Afghanen – wo auch immer sie sein mögen – wahre, liebe Freunde als Wegbegleiter in traurigen und fröhlichen Momenten finden, Freunde, die uns begleiten in unserem Schmerz, in unserer Freude, und die teilnehmen an unseren Träumen, teilnehmen an dem Leben von Menschen, für die Freude und Frohsinn in ihrem Leben ein Fremdwort ist, an dem Leben von Menschen, die auf vielfache Weise unterdrückt werden.
Nach und nach vergisst man das Leben der afghanischen Flüchtlinge. Sie verschwinden aus der Erinnerung, und vielleicht werden einige denken, dass viele Afghanen längst zurückgekehrt sind. Aber so ist es nicht. Das ist ein falsches Bild. Afghanische Flüchtlinge in Peschawar haben gehofft, in Pakistan Zuflucht zu finden, damit sie friedlicher leben und ihre Kinder Zugang zur Bildung erhalten können. Darum ist die Schule ein Schritt in die richtige Richtung für eine gute und solide Ausbildung. Viele unserer Absolventinnen studieren an der Universität oder arbeiten in Berufen, die sie gerne
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