Es wird Dich rufen (German Edition)
der Bildfläche der Geschichte erschienen, dass einige Wissenschaftler davon ausgehen, dass sie einem heute unbekannten, großen königlichen Geschlecht entstammen müssen, wenngleich es dafür natürlich keine Beweise gibt.«
Der alte Mann beendete den kurzen Exkurs, um sich wieder den Stammbäumen zu widmen, um die es ihm hauptsächlich ging.
»Jedenfalls – und das wäre eine historische Sensation – geht aus den beiden Stammbäumen, die Abbé Saunière in der Gruft entdeckt hat, eindeutig hervor, dass es sich bei den Grafen von Rhazes um die Nachfahren dieser Merowinger-Dynastie handelt!«
»Was würde das bedeuten?«
»Es würde bedeuten, dass das Königsgeschlecht eben nicht ausgestorben ist, so wie es die Wissenschaft vermutet, sondern dass die Blutlinie Bestand gehabt hat – mindestens bis zu den Hautpouls, den Besitzern des Châteaus im Dorf.«
»Ich glaube, ich weiß jetzt, worauf Sie anspielen«, bemerkte Mike. Sollten die Hautpouls die legitimen Erben der großen Könige gewesen sein, dann waren sie wohl auch im Besitz des königlichen Schatzes! Oder sogar des Heiligen Grals, von dem Jean wiederholt gesprochen hatte?
»Verzeihen Sie bitte!«, sagte Mike. »Ich fantasiere ein wenig mit, wobei ich gestehen muss, dass ich diese ganzen Legenden für von Menschen gemachte Märchen halte. Aber ich muss zugeben, es ist dennoch interessant, sich darüber Gedanken zu machen. Der Journalist in mir ist momentan stärker. Sie merken es schon …«
»Mein lieber, junger Freund!«, ermutigte Jean ihn dazu, fortzufahren. »Es existiert mehr, als Sie sich in ihren kühnsten Träumen ausmalen mögen. Erzählen Sie mir von Ihren Vermutungen!«
»Ich würde Ihnen lieber eine konkrete Frage stellen«, erwiderte Mike. »Hat Saunière das Gold der Merowinger entdeckt?«
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Die Vermutung lag nahe, nicht ...?«
»Nein, nein!«, entgegnete Jean. »Es ist nicht der Schatz. Es ist das uralte Wissen, das bereits die Merowinger als Erben eines noch viel älteren Geheimnisses an ihre Nachfahren weitergaben! Sie sollten das auf jeden Fall in Erinnerung behalten, wenn Sie die Ereignisse in Rennes-le-Château verstehen und richtig einordnen wollen!«
»Ich werde mich bemühen«, versprach Mike und fügte kleinlaut an: »Auch wenn es noch etwas länger dauert, bis ich dahinterkomme ...«
»Das ist nicht schlimm!«, bemerkte Jean fürsorglich. »Lassen Sie sich Zeit. Ich sage Ihnen inzwischen noch etwas zu dem Testament, das übrigens auf das Jahr 1644 datiert ist. Wir haben es hier ganz ohne Zweifel mit einem hochinteressanten Text zu tun, der uns viel über das Leben und die Denkweise von François-Pierre de Hautpoul verrät. Er war einer der Besitzer des Châteaus und ein sicher nicht unwichtiger Mann. Im Prinzip regelt es aber nur seinen Letzten Willen, also beispielsweise, dass er in der Gruft begraben werden wollte. Insgesamt gesehen ist es also recht unspektakulär.«
»Sie meinen aber nicht die Gruft?« Mike horchte auf. »Die Gruft, die sich unterhalb der Kirche befinden soll?«
»Sie haben gut aufgepasst!«, lobte Jean. »Genau die meine ich.« »Wenn wir gerade darüber reden – ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass ich in der Kirche den Zugang zu einer Gruft gesehen habe?«, sagte Mike, dem dieser Schwachpunkt eigentlich schon zuvor hätte auffallen müssen.
»Das können Sie auch nicht, junger Freund!«, entgegnete Jean. »Saunière hat den Zugang für immer verschließen lassen, nachdem er die Dokumente dort unten entdeckt hatte.«
»Er hat was?« Mike konnte kaum glauben, was er da hörte. »Das kann er doch nicht tun! Was ist, wenn dort jemand seine verstorbenen Verwandten besuchen möchte?«
»Saunière hatte absolut nichts zu befürchten«, erklärte Jean. »Die Gruft gehörte der Familie Hautpoul. Schon ihr Beichtvater, Abbé Bigou – nach seinen Hinweisen suchte Saunière ja – hat sie verschließen lassen. Über hundert Jahre hat sich niemand mehr dafür interessiert. Die Gruft geriet in Vergessenheit!«
»Aber was ist mit den Dorfbewohnern?«, wunderte sich Mike. »Denen müsste das doch aufgefallen sein?«
»Vielleicht war das so. Aber die Zeit war zu schwierig, als dass irgendjemand danach gefragt hätte. Niemand hat auf die Gruft geachtet!«
Das klang in der Tat plausibel – bis auf eine Kleinigkeit.
»Ich kann ja nachvollziehen«, stellte Mike fest, »dass Bigou die Gruft verschlossen hat, damit die Dokumente nicht so schnell gefunden werden
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