Es wird Dich rufen (German Edition)
können. Nur: Weshalb hat Saunière dasselbe getan? Das brauchte er doch nicht mehr?«
»Ein guter Einwand!«, freute sich Jean darüber, dass der junge Journalist offensichtlich mitdachte. »Ich sehe mich – als ob es gestern gewesen wäre – neben Marie Dénarnaud auf der Bank im Garten der Villa Bethania sitzen und mit ihr über genau diese Dinge sprechen. Ich habe sie fast wortwörtlich dasselbe gefragt, wie Sie mich jetzt auch. Und wissen Sie, was sie mir geantwortet hat?«
»Sie werden es mir gleich sagen, schätze ich?«
»Sie hatte keine Ahnung! Von dem Abbé hat sie nie erfahren, was er dort unten erlebt hat. Fast alles hat er ihr erzählt – nur das nicht. Sein einziger Kommentar dazu war immer nur, dass es besser sei, wenn sie das nicht wisse – und wenn die Dorfbewohner keine Möglichkeit mehr hätten, dorthin zu gelangen.«
»Merkwürdig …«
»Ich will Ihnen allerdings nicht verheimlichen, dass es unter den Dorfbewohnern damals ein Gerücht gab«, fuhr Jean fort, nachdem er es sich lange durch den Kopf gehen gelassen hatte, ob er es Mike wirklich sagen sollte. »Bitte beachten Sie aber, dass es nur eine Legende ist! Nicht mehr, aber auch nicht weniger.«
Der alte Mann machte es spannend.
»Schießen Sie los! Ich bin ganz Ohr«, sagte Mike.
»Sie haben die Inschrift direkt über dem Eingang zur Kirche bemerkt? Dort steht: ›Terribilis est locus iste‹. Dieser Ort ist schrecklich. Sehen Sie: Es ging nun das Gerücht, dass Saunière dieses Zitat wortwörtlich so gemeint hat, wie er es in Stein meißeln ließ. Dass dieser Ort, also nicht die Kirche, sondern die Gruft darunter, schrecklich ist und er sie deswegen zumauern ließ!«
»Aber es ist doch eine Kirche?«, fragte Mike irritiert. »Ist das nicht ein Gotteshaus? Was sollte daran gefährlich sein?«
»Ich will es Ihnen zeigen!«
Jean kramte eine Skizze aus seiner Jacke und legte sie auf das Mauerwerk der Brüstung.
»Schauen Sie genau hin!«, forderte er Mike auf.
Bei der Zeichnung handelte es sich offenbar um einen detaillierten Plan des Kirchengebäudes von Rennes-le-Château. Vermerkt waren nicht nur der exakte Grundriss, sondern auch die Statuen sowie die jeweiligen Positionen der einzelnen Kreuzwegstationen und des Altars.
»Am westlichen Ende haben wir den Eingangsbereich mit der Teufelsstatue und dem Zitat des schrecklichen Ortes«, erklärte Jean und nahm einen Stift aus der Tasche, um auf der Skizze eine Trennlinie einzuzeichnen, die das Gebäude in zwei gleich große Quadrate unterteilte.
»Was machen Sie da, Jean?«
»Sie werden es gleich sehen. Was ich Ihnen zeigen werde, hat mit der Mythologie des Ortes zu tun. Passen Sie auf!«
Mit seinem Zeigefinger deutete er zunächst auf den linken, dann auf den rechten Bereich.
»Diese beiden Quadrate sind ein Hinweis auf das Schachspiel. Sie wissen, dass ein Schachbrett 64 Felder hat. Legen Sie zwei Schachbretter nebeneinander, dann ergeben sich 128 Felder. Diese Zahl spielt im Moment noch keine große Rolle, aber Sie sollten sie im Hinterkopf behalten. Sie wird für die Entschlüsselung eines der beiden lateinischen Texte von entscheidender Bedeutung sein!«
Mike musste an das große Manuskript und an die von Walter Stein ins Spiel gebrachten überflüssigen Buchstaben denken. Mike hätte darauf wetten können, dass es exakt 128 Buchstaben waren, wenn er sie nachzählte.
»Nun sehen Sie sich die Kirche an: Wir befinden uns im westlichen Bereich, also in dem linken Quadrat. Vor dem Eingang hatten wir die Inschrift, mit der uns Saunière davor warnte, dass wir hier einen angeblich schrecklichen Ort betreten werden. Für alle, die dies nicht gelesen oder verstanden haben, setzte er die Teufelsstatue direkt an den Eingang. Sie war nicht zu übersehen!«
So weit konnte Mike folgen.
Jean markierte nun mit seinem Stift vier der insgesamt 14 Kreuzwegstationen. Dazu zeichnete er zwei kleine Kreuze als Markierungspunkte ein: eines genau in der Mitte der Linie von der Kanzel zur Statue des Heiligen Antonius von Padua, ein zweites unmittelbar vor dem Beichtstuhl.
»Das zweite Kreuz markiert die Stelle, auf die sowohl der Asmodeus – also der kleine Teufel – als auch Jesus schauen. Erinnern Sie sich, dass beide Statuen dieselbe Haltung einnehmen – nur spiegelverkehrt! Weiterhin haben wir die Kreuzwegstationen zwei, fünf, zehn und dreizehn, die ich gekennzeichnet habe.«
»Verstehe«, sagte Mike neugierig. »Und worauf läuft das hinaus?« »Wenn Sie die Nummern der
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