Es wird Dich rufen (German Edition)
sich aufzulösen und neu zu gruppieren – exakt so, wie es die Schriftzeichen in dem Buch vor der Grotte getan hatten.
»Erkenne dich!«, schienen sie ihm leise ins Ohr zu flüstern. »Wisse, wer du bist.«
»Wie soll ich das tun?«
»Sieh in dich!«, raunten sie ihm zu. »Hör auf deine Stimme!«
»Aber wie soll ich das tun?«, rief er erneut aus.
Ein schrilles, unnatürlich lautes Lachen traf ihn plötzlich bis ins Mark. Mike drehte sich zu ihm um. Auf dem marmornen Tisch hatten sich die knöchernen Überreste eines Kopfes manifestiert, der einer Mischung aus Mensch und Affe glich.
»Du hast hier nichts zu suchen!«, schimpfte er mit quäkender Stimme.
»Wer bist du?«, fragte Mike, während er langsam auf den sprechenden Totenkopf zuging. Die Säulen und das auf der Mitte des Tisches ruhende Emblem verloren unterdessen ihr pulsierendes Leben.
»Was willst du von mir?«, fragte Mike.
»Verschwinde! Du gehörst nicht hierher!«
Ein weiteres, noch viel grässlicheres Lachen entfuhr dem Schädel.
Mike begann, sich vor ihm zu fürchten – trotzdem stellte er sich.
»Warum gehöre ich nicht hierher?«
»Weil du hier nichts zu suchen hast! Verschwinde!«, wiederholte der Schädel nachdrücklich.
»Ich kann aber nicht«, widersprach Mike, die magische, sakrale Kraft des Raumes hinter sich fühlend. Aus einem ihm unbegreiflichen Grund spürte er, dass er sich den barschen Worten unbedingt widersetzen musste.
»Du wirst sterben, wenn du hierbleibst!«, warnte ihn der Schädel. »Das glaube ich nicht!«, entgegnete Mike gefasst.
»Dann werde ich es dich erfahren lassen!«
Plötzlich fühlte Mike einen heftigen Schmerz in seiner linken Brust, als hätte ihm jemand ein Messer in den Oberkörper gerammt. Instinktiv fasst er sich an die schmerzende Stelle. Sie blutete stark.
Mit verzerrter Miene sackte er in sich zusammen. Das Atmen fiel ihm schwer. Nur mühsam gelang es ihm noch, seinen Kopf zu erheben und dem Schädel entschlossen in seine leeren Augenhöhlen zu blicken.
»Wie fühlt es sich an?«, fragte der Totenkopf süffisant.
Mike wehrte sich gegen den Schmerz, er durfte ihn nicht zulassen. »Du wirst mich nicht besiegen! Wer immer du bist«, rief er dem Schädel mit letzter Kraft entgegen. »Ich habe keine Angst vor dir!«
»So ist dein Schicksal besiegelt«, lachte der Totenkopf laut. »Du hast es nicht anders gewollt.«
»Mein Schicksal, mein Schicksal!«, wiederholte Mike krampfhaft die Worte, die er zuletzt gehört hatte.
»Mike! Wach endlich auf!«
Feline stand an seinem Bett und schüttelte ihn.
Schlaftrunken öffnete er die Augen und stammelte:
»Was …, was ist los?«
Nur ganz langsam fand er in die Realität zurück.
»Du hast geträumt!«, sagte Feline vorwurfsvoll. »Und du hast einen solchen Krach gemacht, dass kein Mensch schlafen kann!«
Mike rieb sich die Augen und richtete sich auf.
Feline hatte bereits die Nachttischlampe angeknipst. Er bemerkte, dass seine Bettdecke und das Kissen völlig durchgeschwitzt waren.
»Was ist passiert?«, fragte Mike.
»Du hast wie ein Verrückter geschrien und ich konnte dich nicht aufwecken!«, sagte Feline. Ihr Ärger wich einer gewissen Erleichterung. Erst jetzt bemerkte Mike, dass sie eine Träne in ihrem Auge hatte. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht!«
»Entschuldige …« Die Situation war Mike äußerst unangenehm. »Es tut mir leid, es war nur ein unglaublich intensiver Traum. Ich …«
Reflexartig nahm sie ihn sanft in den Arm, drückte ihn fest an ihre Brust und küsste ihn schließlich zärtlich auf die Wange. Mike wusste nicht, warum, aber er ließ es geschehen und es tat ihm gut.
Feline schien von der Situation jedoch plötzlich selbst erschrocken. Sie zog sich peinlich berührt zurück und legte sich wieder in das Gästebett.
»Ich versuche, noch ein bisschen Schlaf zu bekommen«, sagte sie. Ihre zurückhaltende Reaktion passte so gar nicht zu ihrem bislang forschen Auftreten.
Mike verstand plötzlich, dass diese junge Frau im Grunde ebenso allein war wie er und nichts weiter als Geborgenheit suchte.
»Gute Nacht, Feline«, flüsterte er ihr zu. Dann löschte er das Licht, stand auf und ging ans offene Fenster, möglichst leise, um Feline nicht zu stören.
Trotz der dunklen Nacht sah man Rennes-le-Château, das von Straßenlaternen hell beleuchtet wurde, noch gut in der Ferne. Über dem Dorf funkelten die Sterne.
Mikes Gedanken galten seinem eigenartigen Traum. Noch nie zuvor hatte er im Schlaf etwas derart
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