Es wird Dich rufen (German Edition)
realistisch erlebt wie das Geschehen in dieser Höhle. Und noch nie hatte sich ein Traum so sehr in sein Gedächtnis eingeprägt. Jedes noch so kleine Detail war ihm präsent.
Der Traum kam ihm wie ein Weckruf vor, ein Hinweis, dass er über den Sinn seines Lebens nachzudenken hatte.
Mike betrachtete die Sterne. Seit Millionen von Jahren blickten sie auf das herab, was sich auf dieser Erde ereignete. Die Unendlichkeit war so greifbar nahe.
Astrologen behaupteten ja, die Gestirne würden das Schicksal der Menschheit bestimmen. Ein Schicksal, dessen Grundzüge ein jeder bereits in seine Wiege gelegt bekam – oder besser gesagt: die Anlagen, einen ganz bestimmten, nur für ihn vorbereiteten Weg zu gehen.
Bislang hatte sich Mike beharrlich geweigert, an einen solchen Hokuspokus zu glauben. In den letzten Tagen war sein Leben aber förmlich auf den Kopf gestellt worden. Nichts verlief mehr in den grundsoliden Bahnen, die er bislang als seinen eigentlichen Lebensinhalt angesehen hatte: erfolgreich im Beruf, eine funktionierende Beziehung, ein gesichertes Gehalt, Vorsorgen für die Rente und – irgendwann einmal – gemeinsam mit den Enkeln den gemütlichen Lebensabend genießen.
So hatte seine Planung eigentlich ausgesehen. Doch nun?
Die Bilder des Buches mit den sich wandelnden Buchstaben – seinen Buchstaben, seiner Geschichte, die er selbst schrieb und nicht vollends zu verstehen vermochte – sowie der Gang durch die absolute Dunkelheit gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf.
Diese Szenen hatten einen Prozess in seinem Bewusstsein losgetreten, den er nicht mehr aufhalten konnte.
So viele Seiten waren in dem »Buch des Lebens« noch unbeschrieben. Zwischen ihnen und dem letzten Kapitel stand ein langer schwerer Weg, von dem er nicht wusste, wohin er führen würde.
Unbewusst fixierte Mike die ganze Zeit das kleine Dörfchen auf dem Hügel gegenüber.
Rennes-le-Château – ein unbedeutendes Pyrenäen-Dorf?
Sollte es tatsächlich zu seinem Schicksal werden?
27
»Pierre, schön Sie zu sehen!«, grüßte der General seinen Butler, nachdem er aus seinem teuren schwarzen Mercedes ausgestiegen war, der ihn soeben standesgemäß vom nahe gelegenen Flugplatz in Carcassonne nach Rennes-le-Château gebracht hatte. Es war sein erster Besuch in diesem Dorf, über das er schon so viel gehört hatte.
Sein Chauffeur hatte auf dem kleinen Parkplatz in der Nähe der Villa Bethania geparkt. Begleitet wurde der General von Boone - und von zwei Leibwächtern der »Söhne Luzifers«, die er allerdings angewiesen hatte, unterhalb des Dorfes auf ihn zu warten. Frühmorgens drohte schließlich keinerlei Gefahr in dem menschenleeren Dorf.
»So sieht es hier also aus«, bemerkte er trocken, »Trostlos!«
»Seien Sie willkommen«, sagte sein Butler, der bereits vor einer halben Stunde mit der Tochter des Generals an der verabredeten Stelle eingetroffen war.
Unmittelbar nachdem Boone den General darüber informiert hatte, welche Gefahr von diesem Journalisten wirklich ausging, hatte er den Entschluss gefasst, früher als geplant hierher zu kommen. Es gab Dinge, um die er sich selbst kümmern musste. Dinge, die seiner Anwesenheit bedurften. Der Fall Dornbach war so einer.
Boone war inzwischen ebenfalls ausgestiegen und gesellte sich zu den beiden Männern.
»Pierre, das ist Christopher Boone, ein Verbindungsmann unserer Freunde«, machte der General die beiden miteinander bekannt. »Mister Boone, dies ist mein mir treu ergebener Butler Pierre. Ich halte große Stücke auf ihn.«
»Ich danke Ihnen, General«, sagte Pierre geschmeichelt, während Boone nur die Nase rümpfte.
»Ihr Butler«, sagte er kurz angebunden, »Das ist aber doch nicht der Mann, dem Sie die Sache anvertraut haben?«
»Natürlich ist er das!«, antwortete der General verärgert darüber, dass Boone, gemessen an seinem arroganten Tonfall, dies nicht zu passen schien. Als ob er oder die »Söhne Luzifers« sich in seine Personalplanungen einzumischen hätten. Das war alleine seine Sache.
»Und er ist wirklich vertrauenswürdig?«
»Wollen Sie mich provozieren, Boone?«, fragte der General, sichtlich um Contenance bemüht.
»Sie sollten Ihre Nerven schonen, General«, riet ihm Pierre, der den Angriff auf seine Person gelassen hinnahm, »Solche Bemerkungen pflege ich zu ignorieren. Sie können mich nicht treffen.«
»Schon gut!«, ließ Boone vom Butler ab.
»Was machen Ihre Bemühungen?«, erkundigte sich der General. »Es hat sich wenig getan«, sagte
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