Es wird Dich rufen (German Edition)
Bild.
Wie auch das Antonius-Gemälde spielte diese Szene in einer Landschaft, deren Hintergrund ein Hügel bildete. Doch in diesem Fall fehlte das kleine Kirchengebäude auf ihm.
Mike kratzte sich am Hinterkopf. Zu gerne hätte er herausgefunden, welchen verborgenen Sinn diese drei Gemälde hatten. Sie mussten etwas gemeinsam haben, sollten alle drei Gemälde tatsächlich dazu dienen, Licht ins Dunkel des mysteriösen Geheimnisses zu bringen. Nur: Wo sollte er nach diesen Gemeinsamkeiten suchen? Ihm fehlte offensichtlich der Schlüssel, das Schloss zu knacken.
»Was treibst du da?«, schreckte Feline Mike auf, als sie an den Tisch zurückkam und ihn ganz in Gedanken versunken vorfand.
»Oh, du bist schon fertig?«, sagte Mike überrascht.
»Ich habe mich extra beeilt!«, versicherte sie. »Wie es scheint, habe ich aber nichts verpasst.«
»Sieht ganz so aus«, nickte Mike. »Das Essen ist noch nicht da.« »Hoffentlich hast du mich nicht vermisst?«, fragte sie keck.
»Ich hatte zu tun!«, antwortete er gelassen.
»Das habe ich bemerkt«, sagte Feline. »Was hast du dir angesehen?« »Ach, nichts Besonderes«, sagte er. »Nur ein paar Bilder.«
»Bilder?« Feline wurde neugierig. »Was sind das für Bilder?«
Doch das Schicksal war Mike zugetan. Als hätte Caroline gespürt, dass Mike eigentlich keine große Lust hatte, mit Feline über diese Sache zu sprechen, brachte sie ihnen eine wohlriechende Gemüsesuppe an den Tisch.
»Voila, le soup«, sagte sie und servierte ihnen das Essen. Dann fragte sie ihre Gäste, wie sie ihr Steak wünschten. Während Mike es lieber durchgebraten mochte, wollte Feline es möglichst blutig.
Caroline nickte. Ehe sie sich wieder zurückzog, berichtete sie Mike noch mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns, dass sie leider vergeblich versucht hatte, eine Übernachtungsmöglichkeit für Feline in der Umgebung zu finden.
»Pas de problem«, bedankte sich Mike.
Inzwischen nahm er diese Information eher gelassen zur Kenntnis, schließlich hatte er sich allmählich mit dem Gedanken angefreundet, dass er diese Nacht nicht alleine verbringen würde. Das vorzügliche Abendessen wertete er als eine Art Entschädigung.
26
Die Hitze des Tages kühlte selbst in der Nacht nicht ab. Schweißgebadet lag Mike in seinem Bett – alleine. Feline, der Caroline noch ein Gästebett und zusätzliches Bettzeug besorgt hatte, musste es sich daneben bequem machen.
Unruhig wälzte sich Mikes Körper im Schlaf hin und her. Er war in einem tiefen Traum gefangen. Dessen war er sich sonderbarerweise vollkommen bewusst.
Er fand sich in einer Umgebung wieder, die ihn an jene Landschaft erinnerte, die er am Abend zuvor auf dem Gemälde von der »Versuchung des Heiligen Antonius« gesehen hatte.
Ganz alleine stand er nun in dieser Szenerie. Niemand war da. Kein Heiliger, der ihn vor der Grotte empfing. Keine Engel, keine skurrilen Gestalten und erst recht keine Dämonen.
Es war seltsam ruhig. Eine gespenstische Situation.
Alles war genau so, wie es von dem Künstler auf seinem Gemälde dargestellt wurde.
Mike stand vor exakt jenem Tisch, vor dem der Heilige Antonius auf dem Bild gekniet hatte. Die Papierrolle auf dem Tisch bewegte sich leicht durch einen sanften Windstoß. Winzige Sandkörner rieselten gemächlich durch das enge Glas der Sanduhr. Der Totenkopf schien ihn frech anzugrinsen, als wolle er ihn fragen, was Mike an dieser Stelle verloren habe. An einem Ort, an dem er nichts zu suchen hatte.
Dafür schien das Buch, das aufgeschlagen am steinernen Tisch lehnte, mit ihm kommunizieren zu wollen.
»Lies mich!«, hörte er es immer wieder rufen.
Neugierig nahm er es zur Hand und betrachtete es.
Die Schrift bestand aus fremdartigen Zeichen, die sich erst zu formen schienen, als er sie erblickte. Trotzdem meinte er, sie lesen zu können. So seltsam sie auf den ersten Blick auch ausschauten, so vertraut erschienen sie ihm doch.
Wort für Wort manifestierte sich und er verstand, was hier niedergeschrieben war: die Geschichte eines Lebens, eines noch nicht abgeschlossenen Lebens.
Die Schrift versiegte in der Mitte des Buches. Unzählige leere Seiten warteten noch darauf, beschrieben zu werden.
Mike legte das Buch zurück. Im selben Moment stolzierte ein weißer Schwan an ihm vorbei, sprang auf das Buch, schüttelte sich kurz und verschwand dann genau so schnell, wie er gekommen war. Nur eine weiße Feder hatte er zurückgelassen, die nun neben dem Gefäß mit der schwarzen Tinte lag und darauf
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