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Es wird schon nicht das Ende der Welt sein

Es wird schon nicht das Ende der Welt sein

Titel: Es wird schon nicht das Ende der Welt sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ali Lewis
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uns sagte was. Dann meinte sie, sie hätte noch eine Menge zu packen, ich nickte also. Sie schaute mich noch mal an, ich weiß auch nicht, ich wollte was sagen, dass sie nicht nach Alice gehen sollte, dass es mir leidtat oder sonst was. Aber ich kriegte das nicht auf die Reihe in meinem Kopf. Stattdessen stand ich so halb achselzuckend vor ihr. Noch mal guckten wir uns an und dann machte sie die Tür zu, also ging ich raus und trainierte Werfen. Ich war immer noch draußen, als die Frauen alle aus dem Haus kamen wie ein Haufen Rosakakadus in der Abenddämmerung.
    Mum trug Sissy die Taschen. Sie und Tante Ve verstauten sie im Kofferraum. Tante Ve fing an, ihren riesigen Körper hinter das Lenkrad zu schieben. Mum ging auf die Beifahrerseite und half Sissy beim Einsteigen. Sie war wie das Spiegelbild von Tante Ve auf der anderen Seite. Mum stand da, unruhig und unbeholfen, sie nestelte herum, strich Sissy das Haar aus der Stirn. Dann half sie Sissy mit dem Gurt, und als sie sich über ihren dicken Bauch beugte, umarmten sie sich schließlich. Da fing Sissy dann richtig an zu flennen. Sie sagte immer wieder, dass sie nicht wegwollte. »Zwing mich nicht. Bitte. Bitte, Mum. Zwing mich nicht zu gehen. Ich will nicht weg. Ich hab Angst. Ich hab solche Angst.« Mum machte den Sicherheitsgurt wieder auf, sie half Sissy aus dem Auto. Sie rieb ihr den Rücken und strich ihr übers Haar. Emily heulte auch los, da stieg Tante Ve aus und nahm sie auf den Arm, indessen flüsterte Mum Sissy Sachen ins Ohr, die ich nicht hören konnte. Tante Ve schaute rüber zu Dad und schüttelte ihren Kopf ein wenig. Dad guckte auf den Boden, als er sie sah. Ich drehte mich wieder zum Auto. Mum hatte Sissy wieder auf den Vordersitz gekriegt. Sie hatte aufgehört zu schluchzen.
    Sissy sollte anrufen, wenn sie in Alice angekommen waren und sobald irgendwas passierte, sagte Mum. Dad beobachtete sie von da, wo er arbeitete. Als Mum Sissy losgelassen hatte, ging er auch rüber zum Auto. Die Tür war schon zu, als er hinkam, da klopfte er ans Fenster und winkte ihr so zu. Er lächelte nicht. Sie guckte ihn an, winkte aber nicht. Irgendwie hatte sie so ein seltsames, leeres Gesicht. Als sie beim Wegfahren das Fenster aufmachte, lehnte sie sich ein bisschen raus und winkte wie mit einem gebrochenen Flügel.
    Sie ließen uns zurück, und wir riefen nicht wie sonst: »Tschüs! Bis bahald! Fahrt vorsichtig!« So hatten wir uns immer von Sissy und Jonny verabschiedet, wenn Tante Ve rüberkam und sie nach den Ferien wieder ins Internat zurückbrachte. Ich glaub, wir konnten nicht mehr so tun, als ob alles normal wäre. Nichts war normal. Ich glaub, es war schon ewig nicht mehr normal gewesen. Und ich fragte mich, ob es je wieder normal werden würde.

22
    EINE STUNDE ODER SO nach Sissys Abfahrt war Dad fertig mit dem, was er am Generator gemacht hatte, wischte sich die Hände an den Hosen ab und ging zum Haus. Er steckte den Kopf so gerade eben zur Tür hinein und gab Mum Bescheid, dass er zu Mick nach Warlawurru fahren würde. Die Fliegentür sirrte in den Angeln wie ein Gummiband, als er sie losließ. Mum kam raus und sagte, er solle es doch lassen. Dad guckte sie an und sagte, er müsse hin und mit ihnen reden. Mum legte den Arm um ihn: »Der Staub muss sich erstmal legen, Derek. Lass die Sache ruhen, bis wir mit dem Viehtrieb fertig sind. Bitte. Sissy ist nicht hier, also lass es erst mal.«
    Dad sah aus, als hätte er einen Stich bekommen, als Mum das mit Sissy sagte. Eine Weile stand er still da, rieb sich das Gesicht mit den Händen und dachte drüber nach. Seine Augen sahen rot aus, als er mit dem Kopf nickte und sagte, er würde zu den Jungs am Wild Ridge fahren und den Viehtrieb da auf den Weg bringen. Mum wirkte ebenso erleichtert wie besorgt. Sie küsste seine Wange. Dad stieg in seinen Pick-up, und der warf übel Dreck auf, als er vom Hof fuhr. Mum schaute ihm hinterher und ging dann rein.
    Als ich die Liste mit Aufgaben von Mum und Dad bekam – meine Strafe fürs Weglaufen –, konnte ich gar nicht glauben, wie viel ich zu tun hatte. Ich hatte gehofft, da Sissy nun weg von der Station war und alle so viel mit dem Viehtrieb zu tun hatten, würden sie es vergessen, aber ganz das Gegenteil schien der Fall zu sein. Ich glaub, sie hatten die Zeit genutzt, um sich möglichst viele Jobs für mich einfallen zu lassen. Als ich die Liste sah, brüllte ich los: »Das ist ungerecht!« Das hatte ich nicht vorgehabt, es kam einfach so aus meinem Mund, ohne

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