Es wird schon nicht das Ende der Welt sein
Genau dich hab ich gesucht. Setz dich lieber hin, junge Dame.« Sissy wollte fragen, was los war, aber Mum sagte nur: »Gil Smith.« Ich glaub, da wusste Sissy, dass die Sache rausgekommen war, und sie wollte abhauen, denn Mum brüllte: »BLEIB, WO DU BIST! DU GEHST NIRGENDWO HIN. NIRGENDWO. HÖRST DU? Dein Vater ist schon auf dem Weg hierher.« Mann. So hatte ich Mum noch nie brüllen hören. Mir standen sämtliche Haare auf den Armen zu Berge und mein Magen drehte sich auch um. Ich hatte Angst. Ich glaub, Sissy auch, denn da hörte ich, wie sie anfing zu heulen. Aber leise. Nicht so wie sonst. Ich überlegte, was ich tun sollte. Das würde alles noch viel schlimmer werden, wenn Dad nach Hause kam, so viel war sicher. Ich setzte mich auf meine Bettkante, neben der Tür, die immer noch einen Spaltweit offen stand, und wartete.
Keine Ahnung, wie lange ich da gesessen und Sissy beim Wimmern zugehört hatte, aber mir kam es vor wie so circa ein Jahr. Als Dad schließlich kam, knallte er die Esszimmertür zu, also wusste ich sofort, dass er wütend war, weil er zur Farm zurückgezerrt worden war, wo er doch eigentlich mit den Jungs zu tun hatte. Ich schluckte heftig, als er sagte: »Na? Was ist los? Das hier sollte lieber einen guten Grund haben, ich hab nämlich Besseres zu tun …« Aber er kam damit nie zu Ende, weil Mum ihm sagte, er solle sich setzen und zuhören.
Ich hörte, wie Dad mit dem Stuhl über die Dielen schrammte. Durch den Türspalt konnte ich ihn nicht richtig sehen, nur seinen linken Unterarm. Aber ich hatte zu viel Angst, die Tür noch weiter zu öffnen. Ich wusste, dass er seine Ellenbogen auf den Tisch stützte, wie immer. Er sagte noch mal: »Na? Was ist los?« Mittlerweile hatte Sissy aufgehört zu wimmern, und es herrschte so eine Stille, während Mum sich überlegte, auf welche Weise sie Dad am besten sagen sollte, dass Sissy ein Gin-Jockey war. Schließlich sagte sie: »Danny meint, Sissy hat mit Gil Smith geschlafen.« Dann war Stille.
Dad nahm seinen Ellenbogen vom Tisch und legte seine Hand hin. »Sissy?« Schweigen. »Sissy? Stimmt das?«, fragte er echt leise. Sissy musste genickt haben, denn sie sagte nichts. Aber da knallte Dad dann seine Hand auf den Tisch und sagte: » NEIN. KANN NICHT SEIN. EIN GIN ?« Stille. »Himmel.« Stille. »Der kleine Köter!« Stille. »Ich brech diesem kleinen Scheißkerl jeden einzelnen Knochen in seinem Körper. Hast du gehört?« Da weinte Sissy schon wieder. Dad stand auf und fing an, auf und ab zu laufen, er knallte seine Hand auf den Tisch und brüllte: »Nein! Dieser Köter!«
Mum lief hinter ihm her und versuchte, ihn ein bisschen zu beruhigen. Dann setzte er sich plötzlich wieder auf seinen Stuhl, und ich würde sagen, er rieb sich das Gesicht mit den Händen, aber das konnte ich nicht wirklich sehen. Dann sprang er wieder auf und sagte: »Wo?« Keiner antwortete ihm, deshalb knallte er die Hand vor Sissy auf den Tisch und sagte: »WO? WO? VERDAMMT!« Sissy antwortete nicht, also sagte er dann: »War es hier? Hier auf der Farm?« Sie muss genickt haben, denn er fragte, ob es im Haus gewesen war. Das beantwortete Mum. Sie sagte, ich hätte ihr erzählt, Liz und ich hätten Gil aus Sissys Fenster klettern sehen. Da wurde Dad zum Tier. Er ging in das andere Zimmer und kam mit seinem Gewehr und einer Schachtel Patronen zurück. Aber das war ganz seltsam. So als müsste er nicht mehr rumbrüllen. Er hatte entschieden, was zu tun war, glaub ich. Er hatte sich alles zurechtgelegt. »Ich fahr nach Warlawurru«, sagte er. Wir wussten alle, was er vorhatte. Aber er sagte es ruhig, so als ob es das Normalste auf der Welt wäre, als ob er zu den Crofts rüberfahren und sich einen Hänger ausleihen würde oder so.
Da kriegte Mum Angst. Das merkte ich. »Setz dich doch hin, Derek. Setz dich, bitte. Bitte.«
Aber Dad hörte nicht. Er nahm seinen Hut und wollte zur Tür. Da sprang Mum dann auf und packte ihn am Arm. Sie schrie ihn an, er solle aufhören und bloß mal überlegen, bitte, überleg dir, was du da tust . Er stieß sie weg, sodass sie ein bisschen zurückstolperte, aber sie war schnell. Sie gewann ihr Gleichgewicht zurück und warf sich irgendwie zwischen Dad und die Tür, sodass er nicht rauskonnte. Dad sagte: »Aus dem Weg, Sue. Sofort.« Aber Mum rührte sich nicht von der Stelle. Sie sagte ihm, sie würde ihn auf keinen Fall aus dem Haus lassen, ehe er sich nicht beruhigt hatte. »Wenn du ihn umbringst, kriegst du lebenslänglich. Hast du
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