Es wird Tote geben
Warstätter. Wenig später war Graber draußen und Schäfer zehn Zentimeter kleiner. Wo sind wir denn, dass wir jemanden von seinem Arbeitsplatz wegholen wie einen Schwerverbrecher, vor den Augen der Kunden und Kollegen! Ohne dass irgendein rechtskräftiger Beweis vorliegt, Major Schäfer! Vage Vermutungen, gewagte Spekulationen … und mit diesen Fingerabdrücken brauchen Sie mir gar nicht erst zu kommen. Sind wir in Moldawien, dass wir so arbeiten müssen, Herr Major?!
Ja, und abgesehen davon, dass Schäfer den Oberst am liebsten auf der Stelle hingerichtet hätte, konnte er ihm nicht einmal böse sein. Warstätter hatte recht. Und Schäfer – der nun so zornig wie frustriert in seinem angesägten Chefsessel hing – hatte einen weiteren Grund, sich am Abend maßlos zu besaufen. Nein. Alkohol ist keine Lösung, sagte er sich, höchstens der Weg dorthin. Er goss sich eine Kanne Mut & Maß auf und griff zum Telefon.
„Was heißt das, Bergmann, keine Zeit! … Lassen Sie sich wieder von so einem …“
„Ja“, unterbrach Bergmann gelassen, „vielleicht lasse ich mich heute von einer flüchtigen Männerbekanntschaft ordentlich durchficken. Das ist es, was Sie sagen wollten, oder?“
„Bergmann, ich … ja, tut mir leid, aber …“
„Das ist mir völlig wurscht, was Ihnen leidtut … ich bin nicht mehr Ihr Befehlsempfänger und auf Freundschaft legen Sie offensichtlich noch immer keinen großen Wert.“
„Doch, doch, aber jetzt gerade hat …“
„Ach, jetzt gerade haben Sie wieder etwas verbockt, stecken in der Scheiße, leiden unter Ihrer Schwermut, vermissen Isabelle, bla bla bla … Na, dann gehen Sie übers Wochenende in sich und denken darüber nach, wie das normalerweise funktioniert, unter Freunden …“
„Ach rutschen Sie … Bergmann, Sie …“
„Lassen Sie mich in Frieden, Sie emotionaler Krüppel … gehen Sie ins Puff, dort bauen Menschen wie Sie Ihren Triebstau ab!“
„Bergmann! … Bergmann?“ Schäfer sah aufs Display. Der hatte aufgelegt! Er versuchte es noch einmal und wurde nach einem einmaligen Läuten auf die Mailbox umgeleitet. Was sollte er dazu sagen? Das war eindeutig ein weiterer Tiefpunkt in seinem Leben. Wenn es so weiterging, würde er bald dem Marianengraben Konkurrenz machen.
33.
Am folgenden Vormittag schien niemand darauf erpicht, das Chefbüro zu betreten. In der Höhle des Löwen saß der Schäfer mit einem fürchterlichen Kater – dies ein Wortspiel, das seine einzige geistige Aktivität bis zehn Uhr darstellte. Abgesehen von ein paar Erinnerungsblitzen an den Vorabend. Wie er zwei Weinflaschen auf den Gartentisch gestellt, sie geöffnet und die Korken über den Gartenzaun geworfen hatte. Wie er später auf der Suche nach einer CD von Steppenwolf das Regal zum Einsturz gebracht hatte. Wie sein Hemdärmel beim Tanz ums Feuer zu brennen angefangen hatte. Jetzt ein Anruf von Plank.
„Da will Sie jemand sprechen … eine Frau Doktor Graber.“
„Eine Ärztin?“
„Anwältin.“
„Das habe ich noch gebraucht.“
Gleich darauf stand eine junge Frau in Schäfers Büro. Wie eine Dr. jur. sah sie allerdings nicht aus. Ende zwanzig, Jeans, Leinenbluse, durch die man einen schwarzen BH wahrnahm. Das Gesicht kannte er, oder?
„Wie kann ich Ihnen helfen?“, Schäfer ganz höflich, bemüht, seinen Atem nicht über den Schreibtisch wehen zu lassen.
„Ich bin Laura Graber … die Schwester von Simon Graber.“ Sie gab Schäfer einen Blick, so vernichtend, dass er aufstehen und zur Kaffeemaschine fliehen musste. „Tee, Kaffee?“
„Tee … gern.“
„Ich hatte einen begründeten Verdacht gegen ihn“, meinte er, nachdem er ihr eine Tasse hingestellt hatte, „sonst wäre ich nie so vorgegangen.“
„Das glaube ich Ihnen auch … Sie sind ja nicht erst seit gestern Polizist.“
„Nein“, sagte Schäfer erleichtert. Vielleicht wollte sie ihn doch nicht mit einer Klage wegen Amtsmissbrauch, psychischer Grausamkeit et cetera ruinieren.
„Ich habe die Ermittlungsakte gelesen, die Sie dem Staatsanwalt übergeben haben.“
„Also vertreten Sie jetzt Ihren Bruder …“
„Wenn es zu einer Anklage kommt, vielleicht …“
„Die Akte ist noch nicht komplett“, meinte Schäfer, der besagten Bericht so schnell wie schlampig zusammengestellt hatte, um wenigstens irgendetwas schwarz auf weiß zu haben.
„Das ist mir schon klar … aber das, was Sie an sogenannten Indizien zusammengetragen haben, hätte Ihnen doch selbst zu denken geben
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