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ESCORTER (German Edition)

ESCORTER (German Edition)

Titel: ESCORTER (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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er damit einverstanden, dass sie gingen, doch vielleicht lag dies nur an dem verbissenen Gesichtsausdruck, den er schon die ganze Zeit über zur Schau trug. Doreé war erleichtert, von den Satana wegzukommen. Sie mochten ihr wahres Gesicht verbergen, doch die finstere Macht, die ihnen innewohnte, erfüllte den gesamten Tempel, durchdrang selbst Putz und Gestein, war einfach überall um sie herum, wie die Luft.
    Gäap zerrte sie hinter sich die Treppen hinab wie ein unartiges Kind. Scheinbar hatte er es eilig. Hitze schlug Doreé entgegen sobald sie das Gebäude verließen. Der Fluss brannte fast noch heller als zuvor, falls dies überhaupt möglich war. Ihre Kopfschmerzen verstärkten sich.
    »Wohin bringst du mich? Was ist eine Seelenkammer?«, wagte sie zu fragen. Gäap antwortete nicht, zog sie stattdessen zu einer Treppe, die unter die Erde führte und aussah wie der Eingang zu einer U-Bahn-Station. Erst am Treppenabsatz hielt er inne, umfasste ihre Schultern und sah sie eindringlich an. Keine Freundlichkeit lag in seinem Blick. Nur kaltes Kalkül.
    »Es ist Zeit, Doreé. Wir müssen uns verbinden.«
    Erschrecken fuhr in Doreés Bauch, machte ihre Knie weich. »Jetzt gleich?«
    Sanft strich er mit den Fingern über ihre Wange, umfasste dann ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. Eine überraschend grobe Geste, nach der zärtlichen Berührung.
    »Ja, jetzt gleich. Mammon ist zornig, er wird nicht aufhören, nach dir zu verlangen. Ich kann ihn nicht ewig auf Abstand halten.«
    Zorn hatte sie zwar keinen in Mammons Blick erkannt, aber sie glaubte Gäap. Allein der riesige Echsenleib des Dämons war einschüchternd genug. Allerdings wirkte Gäap kaum weniger erschreckend, so wie er sich ihr gegenüber verhielt. Ängstlich fragte sie sich, ob es etwas mit der Tatsache zu tun hatte, dass sie ihre Jungfräulichkeit verloren hatte.
    Während sie die Stufen hinabstiegen, dachte sie an ihre Mutter. Daran, dass sie bald eine Escorterin sein würde wie sie. Anscheinend hatte die weißhaarige Frau, die sie am See in der Hasenheide getroffen hatte, recht gehabt, als sie behauptete, Doreé würde ihrer Mutter ähneln. Dann dachte sie an David und ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Selbst wenn sie in die Welt zurückkehrte, würde sie ihn niemals mehr wiedersehen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war er tot, was in seinem Fall hoffentlich bedeutete, dass er in das Reich Gottes aufgenommen worden war. Eigentlich war es sogar besser, dass sie ihn nicht wiedersehen würde, so sehr es auch schmerzte, denn sobald sie sich mit Gäap verbinden würde, wären sie Feinde. Das könnte sie nicht ertragen.
    Immer tiefer ging es hinab. Ihre Gedanken huschten davon wie flüchtige Erscheinungen, die Geister ihrer Erinnerungen. So sehr sie es auch versuchte, sie bekam sie nicht mehr zu fassen. Ihre Schritte hinterließen goldene Spuren auf den Stufen, die sich viel länger hielten als auf der Straße. Fasziniert blickte Doreé zurück. Eine schimmernde Fährte floss über die Treppenstufen, begleitete sie in das Herz der Finsternis.
    Gäap legte einen Arm um ihre Taille. »Fürchte dich nicht, Doreé. Auf dich wartet eine Welt voller Wunder und Möglichkeiten.«
    Seine Worte sollten Trost spenden, doch die Verschlagenheit, die aus seiner Stimme klang, schürte Doreés Unbehagen. Endlich kam das Ende des Abstiegs in Sicht. Feuchte Hitze schlug ihr entgegen, legte sich wie ein Schleier auf ihre Atemwege. Die Treppe verjüngte sich und endete jäh in einer überraschend kleinen Kammer. Eine alte, schartige Holztür führte in den ersten Raum.
    Genießerisch schloss Gäap die Augen und sog tief den Atem ein. »Dies ist die erste Kammer.«
    Doreé sah sich um. Der Raum war groß, zu groß, als dass sie ihn auch nur im entferntesten als Kammer bezeichnet hätte. Was wie eine Spiegelung aussah, waren in Wahrheit weitere Kammern, die sich scheinbar endlos aneinanderreihten. In zahllosen Nischen an der Wand standen elfenbeinfarbene Kästchen. In jeder einzelnen Kammer befand sich in der Mitte eine Plattform, auf der ein gläsernes Fass stand, in dem zwei nackte, bis auf die Knochen abgemagerte Menschen Rücken an Rücken kauerten. Ein Mann und eine Frau, eingepfercht wie Sardinen. Manche Fässer waren mit Flüssigkeiten gefüllt. Wasser, Schlamm, Blut und etwas, das aussah wie Urin. In anderen tummelten sich Insekten oder Schlangen, rostige Nägel, faulendes Obst. Soweit Doreé blicken konnte, reihte sich Kammer an Kammer und in

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