ESCORTER (German Edition)
einmal und wollte sicher nur nach Hause, genau wie er.
»Sie kommen«, hörte er Luzifer sagen. »Bist du bereit?«
Bereit für was?
»Bereit zu kämpfen«, entgegnete der Lichtbringer.
Ich bin kein Kämpfer, ich habe ja nicht einmal eine Waffe.
»Du musst mit Worten kämpfen.«
Worte? Da wäre er ja besser gerüstet mit einem Küchenmesser. Im nächsten Augenblick spürte Jakob das Beben, begleitet von einem Stampfen und Keuchen, fern und nah zugleich. Der Wind frischte auf, zerrte an seinen Kleidern.
Was ist das?
»Das sind die Nephilim, Satans Kinder unter der Führung von Gäap, dem Dämon, der sich mit deiner Schwester verbinden will.« Er sah Jakob an und lächelte versonnen. »Sie werden uns in Stücke reißen.«
Luzifer sagte das leichthin, als wäre es etwas Unerfreuliches, aber nichts wirklich Dramatisches. Jakob spürte, wie er zu zittern begann. Weder war er ein Held noch ein Märtyrer, fühlte sich nicht einmal wie ein richtiger Mann. Er wollte nicht kämpfen und schon gar nicht in Stücke gerissen werden. Einen Klagelaut ausstoßend ging er in die Hocke, legte seine Hände seitlich an den Kopf und wippte ein paar Mal vor und zurück. Ein Irrer war er, ein Häufchen Elend, nicht mal fähig, sich selbst zu versorgen. Wie sollte er da gegen Dämonen und Riesen bestehen?
Aus großer Angst erwächst große Dunkelheit , hörte er den Lichtbringer in seinem Kopf.
Spar dir deine weisen Sprüche, ich will sie nicht hören und ich will auch nicht hier sein . Er benahm sich wie ein Schwächling, das wusste Jakob und Luzifer duldete keine Schwäche. Steh auf, Jakob, sie kommen , befahl er.
Und Jakob gehorchte. Der Gedanke an seine Schwester zwang ihn auf die Beine. Als er in die Tiefe blickte, entdeckte er sie. Doreé. Wie aus dem Nichts erschien sie auf dem Pfad und sie war nicht allein. Höchstens hundert Meter trennten sie vom Gipfel. Aufgeregt ballte Jakob die Hände zu Fäusten, wartete darauf, dass sie den Kopf heben und ihn entdecken würde. Kurz bevor sie den Gipfel erreichte, blickte sie endlich nach oben und sah ihn an und dann lächelte sie. Und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Jakob sich vollständig.
* * *
Vor Anstrengung keuchend erreichte Doreé die Spitze. Ohne das Wasser des Gjöll Flusses hätte sie den Aufstieg niemals geschafft. Während des Marschs hatten sie und David kaum ein Wort miteinander gewechselt, was nicht allein an der Anstrengung lag, sondern vielmehr an ihrer Enttäuschung. Es war ihr unverständlich, warum David mit den Gideonisten gebrochen, ihr aber die Existenz ihres Bruders verschwiegen hatte. Die Enttäuschung war jedoch in dem Augenblick vergessen, als sie Jakob gegenüberstand. Groß war er, mit blondem Haar, dass schon längst einen Haarschnitt nötig gehabt hätte. Trotz der schrecklichen Lage, in der sie sich befanden, konnte sie nicht anders, als sich zu freuen.
Ohne nachzudenken, fiel sie ihm in die Arme, merkte aber sogleich, dass er sich versteifte. Schnell trat sie einen Schritt zurück. »Jakob, mir fehlen die Worte.«
Auch ihm schienen sie zu fehlen, denn er lächelte nur scheu und blickte nervös zu Boden.
»Doreé!«, rief David hinter ihr.
Sie wandte sich um. Noch immer stand er am Rand der Klippe. »Warum kommst du nicht?«
In einer Geste der Hilflosigkeit breitete er die Arme aus. »Ich kann nicht. Irgendetwas hindert mich daran, eine unsichtbare Wand.«
Jakob tippte sie an und deutete auf den in Gold gekleideten Mann, der auf der gegenüberliegenden Seite stand und ins Tal hinabblickte. Seine Rüstung schimmerte, ebenso seine Haut. Die durchscheinenden Flügel auf seinem Rücken waren riesig und wunderschön. Vor ihm tauchte Gäap auf, gefolgt von den Nephilim. Sie boten einen Furcht erregenden Anblick, wie sich ihre Gestalten langsam aus dem Zwielicht schälten. Doreé erschauerte.
Der goldene Mann wandte sich ihnen zu. »Fürchtet euch nicht«, rief er. »Dies ist mein Refugium. Nur die Kinder des Herrn können es betreten.«
Seine Stimme klang sanft und zart wie die eines Kindes und überwand doch mühelos die Distanz. Doreé blickte zu David, der mit hängenden Schultern vor der unsichtbaren Barriere stand. Er hatte Luzifers Worte vernommen.
»Es ist okay«, sagte er. »Kümmere dich nicht um mich.«
Doreé schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht.«
»Doch, du kannst«, beharrte David.
Mit großen Schritten trat Luzifer auf sie zu. Ein mächtiger Krieger in Rüstung und Schwert. Ein beeindruckendes Bild.
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