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Esel

Esel

Titel: Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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Sommer 91 oder so
    Karin und ich waren seit sechs Monaten zusammen. Mein Referendariat war zu Ende, der Beamteneid eine reine Formsache, und meine erste richtige Schule, das Schiller-Gymnasium, wartete auf meinen Einsatz als Lehrer.
    Kann sein, dass ich in dieser Phase noch so was wie Ehrgeiz spürte, ein pädagogisches Brennen, einen Auftrag, ein Bildungsbedürfnis, sicher bin ich mir nicht. Was ich aber mit Sicherheit spürte, hatte immer mit Karin zu tun.
    An jenem Tag, den ich nicht mehr historisch genau datieren kann, wurde aus einer intensiven Beziehung ein Paar, zwei Menschen, die zusammenbleiben wollen.
    Auch wenn ich den Tag nicht mehr genau weiß, so bleibt mir doch das Ereignis für immer im Kopf: Karin und ich kauften an diesem Tag eine Waschmaschine in einem Elektronikfachmarkt in Köln-Nippes.
    Der Kauf einer gemeinsamen Waschmaschine sagt mehr über zwei Menschen aus als jeder Liebesschwur, als jede Notiz, jeder Brief, jedes amtliche Dokument. Die gemeinsame Waschmaschine ist der Urknall jeder Lebensgemeinschaft.
    »Die ist zu teuer«, sagte ich beim Anblick des Rolls-Royce unter den Waschmaschinen.
    »Wieso?«
    »Wieso? 1600 Mark, ich finde, das ist teuer. Das ist sogar zu teuer.«
    »Sollen wir uns jetzt alle fünf Jahre eine neue Maschine kaufen oder lieber einmal eine, die dann 15 bis 20 Jahre hält?«
    Karin hatte ihre feste Kaufabsicht nur aus Gründen der Höflichkeit und des Respekts in eine freundliche Frage gekleidet.
    »Wer sagt uns, dass sie hält?«, wollte ich von ihr wissen.
    »Ich.«
    »Ah, und was macht dich da so sicher?«
    »Nichts.«
    »Verstehe – nichts. Und das reicht, um mal eben 1600 Mark auszugeben?«
    »Hey, du bist hier nicht in der Schule, und ich bin nicht eine von deinen Schülerinnen, die du für doof verkaufen kannst, Björn.«
    »Das tue ich doch gar nicht.«
    »Tust du wohl.«
    »Karin, bitte!«
    Der erste Streit in unserer Beziehung, die kurz davor war, eine Partnerschaft zu werden, lag in der Luft. Bis zu diesem Moment konnte ich nicht damit rechnen, dass ausgerechnet eine – noch nicht mal gekaufte – Waschmaschine der Grund dafür sein könnte.
    »Karin, du hast natürlich vollkommen recht, aber wir haben das Geld nicht.«
    »Wieso?«
    »Ähm, weil wir …«
    »Wir müssen ja nicht die Boxen kaufen.«
    Um genau zu sein, meinte sie,
ich
müsse ja nicht die Boxen kaufen. Während eine Waschmaschine etwas für beide ist – schließlich unterscheidet das gute Stück ja auch nicht, wessen Hose oder Höschen sie da gerade wäscht –, sind Lautsprecherboxen nicht für beide da. Zwar hören beide, was aus ihnen herauskommt, aber gehören tun sie meistens nur einem. In nahezu allen Fällen ihm, also mir.
    »Willst du ohne Musik wohnen, Karin?«
    »Kann ich mir eher vorstellen als ohne frische Klamotten.«
    »Karin?!«
    Wir haben an diesem Tag diese Waschmaschine gekauft und auf die Boxen verzichtet. Die Maschine gibt es noch heute, aber die Zahl der Lautsprecherboxen, die ich mir seit damals gekauft habe, ist unüberschaubar geworden.
    Meine Rache verschlingt in jedem Jahr einen nicht unbeträchtlichen Teil meines Beamtengehaltes, und wenn der Tag kommt, an dem die Waschmaschine ihren Geist aufgibt, werde ich genau dieses Modell wieder kaufen wollen, egal, was Karin will. Bei Waschmaschinen habe ich mich festgelegt.
    Im Sommer 91 war mir das nicht klar, wie so vieles nicht.

16. Fluchtwege und Krause Glucke
    Ich bin Friedhelm zutiefst dankbar, dass er, ohne einen einzigen Laut zu geben, aus dem Stall gekommen ist. Er hat sich den einigermaßen trockenen Rucksack aufbinden lassen. Er hat sogar darauf verzichtet, Inge zu beißen, und fast macht er den Eindruck, als wäre auch er froh, wieder weitermarschieren zu können. Weg von Sabine, der Stimme, und einer Eselin, die er nicht leiden kann.
    Es ist fürchterlich kalt. Die Sonne wartet noch auf ihren Einsatz. Es ist halb vier in der Früh. Auf dem Weg glänzt der Tau, und der kondensierte Wasserdampf wirkt wie ein natürlicher Hinweis darauf, dass meine kurze Hose denkbar unpassend ist. Egal, lieber friere ich, als noch mal eine ganze Tagesroute mit IHR zu marschieren.
    Friedhelm und ich sind auf der Flucht, und wer vernünftig fliehen will, muss zunächst mal früher aufstehen als die anderen. Um Günter tut es mir leid, mit ihm hätte ich mich gerne noch mal unterhalten, über seine Motive, ausgerechnet hier zu bleiben, über seine Ziele, Träume, alles. Aber nicht um jeden Preis. Ich habe ihm einen Brief

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