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Esel

Esel

Titel: Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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Fruchtkörper mit gekräuselten, abgeflachten Ästen«, doziert der Mann ungefragt.
    »Okay, okay, verstanden. Kommt nicht wieder vor. Jetzt, wo ich die Krause Glucke kenne, werde ich noch mehr aufpassen.«
    »Gut.«
    »Das heißt, ich kann jetzt gehen?«, frage ich vorsichtig.
    »Nö.«
    »Wie?«
    »Nö!«
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Herr …«
    »Lüttenjohann. Und das ist mein Ernst. Spaß mache ich in meiner Freizeit.«
    Das glaube ich ihm nicht, aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter.
    Friedhelm steht nun direkt neben mir. Piraten müssen zusammenhalten.
    »Okay, was muss ich zahlen?«
    »Vierzig Euro.«
    »Für einmal den Weg verlassen? Dafür kann ich bei uns mit hundert durch eine Spielstraße fahren.«
    »Machen Sie doch. Hier kostet das vierzig Euro.«
    Ich krame in meiner Hosentasche und finde kein Geld. Und jetzt fällt mir ein, wo ich meine Geldbörse habe liegenlassen. So viel Pech kann man doch gar nicht haben. Das ist kein Schicksal, das ist mein Armageddon.
    »Hören Sie, Herr Lüttenjohann, ich gebe Ihnen fünfzig Euro, wenn Sie mir einen Gefallen tun.«
    »Wird das eine Bestechung?«
    »Nein, natürlich nicht. Es ist eine Bitte, eine kleine Bitte, ein Gefallen …«
    »Bestechung.«
    »Nein.«
    Erst trifft man niemanden in dieser Einöde und dann ausgerechnet den verbeamtetsten Beamten der gesamten Uckermark.
    »Sie haben kein Geld, stimmt’s?«, fragt der Förster.
    »Ja, schuldig im Sinne der Anklage.«
    »Und nu?«
    »Ich weiß es nicht, dahin, wo mein Geld ist, kann ich nicht zurück.«
    »Warum?«
    »Wegen Sabine.«
    »Ihre Frau?«
    »Um Gottes willen.«
    »Ihre Geliebte?«
    »Mein Albtraum.«
    »Ah. Und nu?«
    »Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Haben Sie eine Idee, Herr Lüttenjohann?«

17. Angst besiegen und verlieren
    Es ist so eine Sache mit der Feigheit.
    Bei manchen Menschen ist die Feigheit eine Wesensart, bei mir ist sie ein wichtiger Bestandteil meines Charakters. Wichtig im Sinne von: möchte ich nicht missen, auf keinen Fall. Für mich ist Feigheit nichts, wofür man sich schämen müsste, dafür verdanke ich ihr zu viel. Die Feigheit ist nichts anderes als eine virtuelle Nervenbahn, die uns rechtzeitig ein Signal ins Hirn schickt, um uns davor zu bewahren, Mist zu bauen oder sich einer Gefahr auszusetzen, die man nicht bezwingen kann. Es ist nicht besonders mutig, sich vor einer Schneelawine aufzubauen, um sie mit seinem Wanderschuh zu stoppen. Im Gegenteil, es ist wahnsinnig schlau, wenn man feige genug ist, um vor der Lawine davonzurennen. Der Vergleich hinkt, aber das ist mir egal. Karin war es nie egal.
    »Was ist das für ein bescheuertes Bild. Feige ist man nur, wenn man sich einer Situation entzieht, vor der man übertrieben Angst hat.«
    »Vor einer Schneelawine davonzurennen halte ich nicht für übertriebene Angst, mein Schatz.«
    »Dein ›Schatz‹ kannst du dir klemmen, ich bin nicht eine von deinen Schülerinnen.«
    »Zu denen würde ich nie ›mein Schatz‹ sagen.«
    »Björn?«
    »Ich weiß, Haarspalterei.«
    Karin nickte und deutete auf das Autobahnschild Richtung Florenz.
    »Du fährst jedes Jahr hier ab, obwohl es ein Umweg ist, nur weil es möglicherweise vor Florenz zum Stau kommt, in diesem Jahr fahren wir nicht ab. Ich habe keine Lust mehr, mir ist heiß, und ich will jetzt unter die Dusche.«
    »Schatz …«
    »Björn?«, zischte sie.
    »Karin, wenn wir hier abfahren …«
    »Wie immer …«
    »Ja, wie immer. Dann brauchen wir zwanzig Minuten länger, kommen aber garantiert nicht in den Stau vor Florenz.«
    »Und wenn da gar keiner ist?«
    »Da ist immer einer.«
    »Wir haben noch nie drin gestanden.«
    »Ja, weil ich ja immer abfahre.«
    »Diesmal fahren wir nicht ab. Wir bleiben auf dieser Bahn.«
    »Karin, das ist …«
    »Björn?«
    Karin schenkte mir einen Blick, den sie nur dann perfekt beherrschte, wenn sie am Ende einer Diskussion angelangt war. Manchmal wünschte ich mir, Karin hätte diesen unfassbar eindringlichen und suggestiven Blick auch mal für meine Interessen eingesetzt, aber das war nie der Fall. Die Wirkung dieses Blicks war stets dieselbe: Gegenwehr zwecklos. Auf unseren Fahrten in die Toskana hatte sie noch nie Gebrauch davon gemacht. Warum sie es ausgerechnet vor Florenz tat, verstand ich damals nicht. Ich reagierte nur.
    »Okay, wir bleiben, Karin, auf deine Verantwortung.«
    »Ja, wenn es dir hilft, deine eigene Feigheit zu vergessen – auf meine Verantwortung.«
    Wir fuhren jedes Jahr die gleiche

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