Esel
sie wach zu machen? Schließlich trägt sie die Verantwortung dafür, dass auch ich wach bin. Mitten in den Schulferien bin ich so kaputt wie nach einer Woche Klausurenkorrektur.
Ohne dass ich es bewusst steuere, liegt mein Handy plötzlich in der Hand. Es will, dass ich es benutze. Ich zögere.
»Hallo, Karin, ich bin’s, Björn.« Ich lasse meine Stimme bewusst nicht so schmerzuntermalend klingen, wie es angemessen wäre.
»Björn. Wie geht es dir?«
Karins Stimme klingt neutral. Meine Frau interessiert sich noch für mich. Jetzt bloß keine Vorwürfe machen.
»Ganz okay.«
»Schön.«
Warum fragt sie nicht nach, und warum klingt sie so wach?
»Ich liege noch im Bett.«
»Ich auch.«
Ich bin verletzt, du nicht, denke ich.
»Tja, dumm gelaufen.«
Ich versuche, das Gespräch auf das einzig Interessante zu lenken, meine Tunica-Albuginea-Geschichte.
Ich seufze ins Handy. Nicht zu aufdringlich, eher dezent. Ein Du-musst-nachfragen-Seufzen.
»Äh, was meinst du, Björn?«
Das Nachfrageseufzen hat funktioniert.
»Ach.«
Ich seufze, jetzt hat es was Aufgesetztes, es klingt affektiert. Sie muss das spüren.
»Warum stöhnst du so?«
Ich stöhne nicht, ich seufze, auch wenn ich allen Grund zum Stöhnen hätte. Doch jetzt ahne ich erst, warum sie nachfragt. Das darf doch nicht wahr sein, sie weiß überhaupt nicht, was passiert ist. Sie hat keine Ahnung von der vergangenen Nacht, von dem Kühlbeutel, von meinen vorsichtigen Tastversuchen Richtung Unterleib, von meiner Angst, zur Toilette zu müssen. Sie hat von nichts eine Ahnung, was mit meinen abenteuerlichen Stunden in der Uckermark zu tun haben könnte. Warum hat sie die Mails nicht gelesen? Ich muss meine Frau dringend auf den aktuellen Stand bringen.
Ich antworte, ohne zu seufzen, und konzentriere mich jetzt wirklich nur noch auf das Wesentliche.
»Wegen gestern.«
»Wegen gestern?«
»Ich habe dir eine Mail geschickt.«
Ich habe sogar mehrere Mails geschickt. Ich habe mich zum Affen gemacht. Für dich!
»Du, ich habe gar nicht reingeschaut, ich war unterwegs. Und weißt du was, das ist auch mal schön, wenn man nicht ständig in seine Mails schaut. Ich habe das richtig genossen. Man macht sich ja so abhängig von dieser ständigen Erreichbarkeit. Und ganz ehrlich, wirklich verpassen tut man nichts, oder?«
»Kommt drauf an.«
»Siehst du das anders?«
Wie schön, Karin. Meine letzten Worte hätten sie also nie erreicht und wenn, dann extrem zeitversetzt. Und was heißt eigentlich konkret – unterwegs?
»Wo warst du denn?«, frage ich sie.
»Beim Sport, und nachher waren wir noch beim Italiener.«
»Schön.«
Wir? Wer ist wir?
»Was habt ihr denn gegessen?«
Jetzt nur noch nicht zu direkt nachfragen, das macht mich schwächer, als ich es ohnehin schon bin. Vielleicht bekomme ich über das neutrale IHR ein wenig mehr über das sehr direkte WIR heraus.
»Pizza.«
Netter Versuch. Aber wenn ich jetzt nachhake, wirkt es wie eine eifersüchtige Attacke. Die Blöße will ich mir nicht geben. Das alles hier um mich herum reicht für die Portion Blöße, die ich für den Rest meines Lebens vorgesehen habe.
»Björn?«
Nein, ich werde nicht nachhaken. Aber richtig ist das nicht. Wir reden ja gar nicht mehr. Eigentlich müsste man doch immer miteinander reden können. Vielleicht nicht um diese Zeit. Aber es sind Ferien, da könnte man reden. Da könnte man viel reden. Man könnte sogar reden und sich dabei anschauen. Man könnte in Lucca reden oder in der Uckermark. Man könnte überall reden, wenn man sich etwas zu sagen hat. Und genau das scheint mir das Problem zu sein. Wir reden ein bisschen, haben uns aber nichts zu sagen.
»Björn.«
Wenn das wahr ist, was mir gerade durch den Kopf schießt, dann haben Karin und ich ein echtes Problem.
»Björn?«
Wie soll ich damit umgehen.
»Ja.«
»Ich dachte, du wärst weg.«
Nein, ich bin nicht weg, ich mache mir Gedanken. Keine guten.
»Was war denn nun gestern.«
»Ach … und bei dir?«
»Bei mir war nichts.«
So? Und wo warst du die ganze Nacht? Hast du wirklich nur nicht in deine Mails geschaut, oder warst du vielleicht einfach nur weg?
Karin? Karin? Karin?
»Björn? Warum bist du so ruhig?«
»Bin ich ruhig?«
»Schon.«
Völlig unsensibel ist sie nicht.
»Gefällt es dir wenigstens ein bisschen?«, will sie nun wissen.
Wenn du mich sehen könntest, würdest du das nicht fragen.
»Was genau meinst du?«
Das ist der Lehrer in mir. Spitzfindig und auch ein wenig
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