Esel
penetrant.
»Wie soll ich das wohl meinen?«
»Ich weiß echt nicht, was ich dazu sagen soll. Ich mach’ das ja hier nicht ganz freiwillig.«
Klingt das wie eine Anklage? Es ist eine Anklage, aber sie soll nicht so klingen.
»Ist das ein Vorwurf?«
O Gott, wir können zwar nicht mehr miteinander reden, aber wir verstehen uns.
»Nein, kein Vorwurf.«
»Klang so.«
»Es ist nun mal eine Tatsache, ich sag’ ja nur, wie es ist.«
»Und, gefällt es dir?«
Was jetzt? Was soll ich sagen? Am meisten gefällt mir die Aussicht, bald nach Hause zu fahren.
»Björn, mal im Ernst. Warum hast du mich eigentlich angerufen?«
»Ich …«
Soll ich ihr vielleicht jetzt die Wahrheit sagen?
»Ich …«
Oder besser nicht?«
»Ich …«
Es könnte klingen wie das Eingeständnis einer Niederlage.
»Ich …«
Auch wenn es hier nicht um Niederlagen geht, ich bin weder im Krieg noch bei einem sportlichen Wettkampf. Ich stehe noch nicht mal vor meiner Klasse. Ich habe Ferien, in jeder Hinsicht.
»Björn?«
»Ja.«
Ich bin sprachlos. Ich kann reden, aber nichts sagen.
»Wo bist du jetzt eigentlich genau?«
»Ich bin in Plötzen.«
»Wo ist das denn?«
»In der Uckermark.«
»Das weiß ich, wo da genau?«
»Am Niedersee.«
»Nie gehört.«
Du hast so einiges nicht gehört, Karin.
»Wie läuft es mit dem Esel?«
»Gute Frage.«
»Sind die wirklich so störrisch?«
»Manchmal.«
»Hört er auf dich?«
Okay, diese Frage ist nicht schlecht. In ihr schlummert der Wunsch nach einer umfangreichen Erklärung.
»Gute Frage.«
Und das meine ich diesmal wirklich ernst, damit sind wir endlich beim Thema. Dass Friedhelm in diesem Moment so laut zu schreien beginnt, dass ich es aus dem Stall bis in mein Zimmer höre, kann kein Zufall sein.
»Ist das der Esel?«
Wer sonst? Ich bin es bestimmt nicht, Karin. »Ja, das ist Friedhelm.«
»Warum schreit der so?«
»Er beißt Inge.«
»Wer ist das denn?«
»Eine Eselin.«
»Ach so. Böser Esel.«
»Er kann nicht anders, er beißt sie ständig. Er muss das wohl.« Nie habe ich ihn besser verstanden.
»Nicht, dass du dir da was abschaust, Björn?!«
Warum eigentlich nicht. Von Friedhelm kann ich mir einiges abschauen. Der schweigt nicht, der quatscht nicht, der beißt. Das ist eine klare Haltung, klarer geht es nicht.
»Sind denn alle Esel so?«
»Böse, oder wie?«
»Mit dem Beißen und so?«
»Keine Ahnung, ich bin ja kein Eselexperte. Ich kann dir nur sagen, dass es bei Friedhelm nun mal so ist.«
»Böser Friedhelm.«
O ja, das ist er. Ich könnte dir eine Ultraschallaufnahme zeigen, die beweist, wie böse dieser Esel ist. Und dann wüsstest du auch endlich, was er mit mir gemacht hat.
»Ich treffe mich heute mit Daniel.«
Wie bitte? »Daniel?«, frage ich etwas zu laut.
»Du, den habe ich gestern beim Sport getroffen. Stell dir vor, der ist wieder zurück.«
Schön. Und der erste Weg führt ihn gleich zum Sport, um sich dort mit dir zu treffen.
»Wo war er noch mal?« Ich weiß genau, wo er war. Daniel ist Meeresbiologe und war für zwei Forschungssemester auf Hawaii.
»Hawaii.«
»Stimmt, und … hat’s ihm gefallen?«
Natürlich hat es ihm gefallen. Daniel ist ja nicht nur ein Meeresbiologe, er ist natürlich auch ein Surfer und dazu auch noch einer, der selbstverständlich aussieht wie ein Surfer. Typen wie Daniel haben ein Leben lang volles, leicht gewelltes Haar, einen drahtigen Körper, alberne Lederbändchen an den muskulösen Handgelenken und Flip-Flops an den sehnigen Füßen, sobald der Wetterbericht Plusgrade meldet. Daniel ist ein ehemaliger Klassenkamerad von Karin. Eine Leistungskursbekanntschaft vom Gymnasium. Mehr nicht. Soviel ich weiß. Die beiden hatten nie etwas zusammen. Was aber bestimmt eindeutig von ihm ausging. Karin war immer nur die gute Freundin, und ihren Schilderungen nach hatte sie damit nie ein Problem. Ich aber. Denn Daniel parkt, seit ich ihn kenne, mehr Geheimnisse, philosophische Fragestellungen, schmutzige Witze und Sportlerphantasien bei meiner Frau als ich. Mal abgesehen davon, dass ich keine Sportlerphantasien habe und mir schmutzige Witze partout nicht merken kann. Als ich von seinem Forschungssemester auf Hawaii erfuhr, war ich derjenige, der am lautesten klatschte.
»Der war super drauf, braungebrannt. Kennst ihn ja.«
Als ob braungebrannt und super drauf einen zwingend kausalen Zusammenhang darstellen. »Ja, ist wohl wirklich immer schönes Wetter auf Hawaii.« Jetzt reden wir schon übers Wetter,
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