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Esel

Esel

Titel: Esel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Gantenberg
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ihrem Stuhl hin und her. Als Daniel ihr auch noch seine durchtrainierte Surferhand auf die Schulter legte, suchte sie meinen Blick, dem nichts entgangen war.
    Nichts! Nichts! Nichts!
    »Weißt du noch, du hast richtig gequiekt hinten, als wir da rumgedüst sind. Wo war das noch mal?«
    Was? Was? Was?
    »Keine Ahnung, hab’ ich vergessen.«
    »Das kannst du doch nicht vergessen haben, Karin!«
    »Du bist mit ihm Motorrad gefahren?«
    »Ist schon lange her.«
    »Na ja, drei Wochen.«
    »Drei Wochen?«
    In dieser Situation tat Karin das einzig Falsche. Sie öffnete die Flasche. Eine Fontäne spritzte ihr ins Gesicht. Die Laune war schlagartig im Keller so wie die restlichen Flaschen.
    Daniel begann zu lachen. Ich nicht, weil ich wusste, dass ich damit alles nur schlimmer machen würde.
    »Ich hole uns eine neue Flasche«, schlug ich vor, während sich Karin sehr langsam abtrocknete, ohne mich aus dem Blick zu verlieren.

29. Willmatz an der Krassler
    Die kleine Dorfschaft Willmatz, im Herzen der Uckermark (natürlich!), denn hier ist jede kleine Dorfschaft im Herzen der Uckermark, besteht aus einer einzigen, langen Straße, die eine hübsche Ansammlung alter Steinhäuser in die linke und die rechte Hälfte von Willmatz trennt. Es gibt keine gute oder schlechte Seite von Willmatz, es gibt nur die Seite mit den geraden Hausnummern und die mit den ungeraden. Auf der Hälfte der Straße steht eine Ampel, die überhaupt keinen Sinn macht. Weil es keine Straße von links oder von rechts gibt.
    Friedhelm und ich schauen auf einen wunderbaren Hof, an dessen Grenze die Krassler plätschert, ein Fluss wie gemalt. Ampelfrei und auf den ersten Blick so sauber wie ein Gebirgsbach. Der Hof heißt Luisenmühle, obwohl ich keine Mühle sehe. Egal, Hauptsache ein Bett, ein Stall und Pils vom Fass und für Friedhelm eine besonders große Portion Kraftfutter, vielleicht sogar ein kleines Brombeersträußchen, darauf scheint er besonders zu stehen.
     
    »Frühstück ist ab acht, im Kühlschrank stehen Getränke, müssen selber aufschreiben, abgerechnet wird am Abreisetag«, erklärt mir Gundula, die stabile Wirtin der Luisenmühle. »Der Esel ist umsonst.«
    »Wie?«
    »Essen.«
    »Das Essen ist umsonst?«
    »Das Schlafen.«
    »Verstehe.«
    Die Menschen in der Uckermark sprechen nicht viel, fast so, als hätten sie nicht genug Zeit, um sie mit vollständigen Haupt- und Nebensätzen zu vergeuden. Aber eigentlich haben die Menschen hier recht, warum ewig lang drum herum quatschen.
    »Heute Abend ist hier ein Fest.«
    Ich nicke.
    »Mit Musik und Spaß.«
    »Was denn für ein Spaß?«
    »Spaß eben.«
    »Ah ja.«
    »Müssen ja nicht hin.«
    »Nee.«
    »Wollen Sie an der Floßfahrt teilnehmen?«
    »Tja …«
    »Wollen Sie, Karten gibt es bei mir. Mein Mann macht das.«
    »Was?«
    »Das mit der Floßfahrt.«
    »Ja, warum eigentlich nicht, gut, ich mach’ mit.«
    »Mach’ ich mit auf die Rechnung.«
     
    Dieses Zimmer ist mit das gemütlichste, was ich bislang präsentiert bekommen habe. So wie es eingerichtet ist, muss jemand die Absicht gehabt haben, hier auch wirklich mal jemanden schlafen zu lassen. Das Bett quietscht nicht, die Matratze stammt nicht von einem Verwandten aus Siebenbürgen, der Kleiderschrank ist nicht aus angemalter Presspappe, und die Lampen würden auch einen Gastauftritt bei
Schöner Wohnen
ohne Irritationen durchleuchten. Alles passt, alles wirkt harmonisch. Alles von Gundula? Die gute Frau mit dem knappen Wortschatz wirkt auf mich nicht unbedingt wie eine geschmackssichere Stilikone, aber irgendjemand muss sich ja diese Mühe gemacht haben.
    »Gefällt’s Ihnen?«
    Ich drehe mich um und sehe Gundula. Weiß der Teufel, wie sie in das Zimmer gekommen ist. Ich hätte schwören können, abgeschlossen zu haben.
    »Äh, ja, schön, sehr schön.«
    »Das freut mich. Ich wollt’ nur die Karte bringen.«
    »Was für eine Karte?«
    »Die Floßfahrt.«
    »Natürlich.«
    »Sechs Uhr.«
    »Abfahrt?«
    »Treffpunkt.«
    »Okay. Wo?«
    »Hier.«
    »Ah ja.«
    Gundula nickt mir noch mal zu und verschwindet dann so lautlos, wie sie gekommen ist.
    Ob ich jetzt abschließen darf, ohne dass sie das Gefühl hat, dass ich irgendwas zu verbergen hätte? Obwohl, egal, die Tür bleibt auf. Ich habe nichts zu verbergen, so oder so.
    Das Handy vibriert. Ich hole es aus der Tasche und schaue auf das Display. Sie ist es. Meine Frau will mich sprechen. Aber ich will sie nicht sprechen. Nicht jetzt und auch nicht morgen, und ich weiß nicht, ob

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