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Eselsmilch

Eselsmilch

Titel: Eselsmilch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Mehler
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unseren Stellungen zurückziehen.«
    Fanni
sah Sprudel an und schüttelte den Kopf. »Ich würde lieber noch ein paar
Schritte laufen, wenigstens einmal um den Block.«
    Solltest
du nicht lieber damit anfangen, die Reisegefährten danach zu fragen, wo sie
sich heute früh aufgehalten haben, als Martha in den Tod rannte; ob sie etwas
davon mitbekommen haben und so weiter? Wäre die Bar nicht der richtige Ort
dafür? Die Zunge ist vom Alkohol gelöst, die Wachsamkeit erschlafft!
    Fanni
wand sich. Ja, sie hatte sich vorgenommen, eine Menge Fragen zu stellen. Ja,
der Zeitpunkt war günstig. Doch nein, sie wollte nicht. Nicht jetzt, nicht noch
heute Abend, nicht in der Bar. Die Reise würde fortgesetzt werden, und so würde
ihr genug Zeit bleiben – zehn Tage, um genau zu sein –, sich mit
jedem Einzelnen der Gruppe ausgiebig zu unterhalten.
    »Eine
Runde um den Block, sehr gern«, sagte Sprudel, und sie wandten sich dem Ausgang
zu. Als Fanni merkte, dass Olga hinter ihnen herkam, warf sie ihr einen
fragenden Blick zu, doch Olga bedeutete ihr, dass sie auf ihr Zimmer gehen
wolle.
    Die
anderen waren bereits in dem Durchgang verschwunden, der zum Souvenirladen und
zur Bar führte.
    Als
sie durchs Foyer gingen, kreuzten sie allerdings noch Doras Weg, die sich
gerade vom Tresen der Rezeption abgewandt hatte.
    Hat
wohl Post aufgegeben, dachte Fanni und nickte ihr freundlich zu.
    Dora
trat einen Schritt näher an sie heran. »Brokatbezüge und ein Haufen Schnitzwerk
im Foyer, dafür in den Zimmern abgetretene Spannteppiche und kaputte
Wasserhähne. Hubert und ich können nicht einmal duschen«, sagte sie aufgebracht.
    »Ja«,
pflichtete ihr Sprudel bei. »Das Hilton ist es nicht. Viersternehotels hat
unser Veranstalter auf seinen Trekkingreisen nicht vorgesehen.«
    Dora
rümpfte die Nase. »Dabei gibt es die tollsten Hotelanlagen hier in Marrakesch.
Sind euch nicht auch ein paar aufgefallen bei der Fahrt hierher?«
    Natürlich
waren sie das. Im Bus hatte man sich den Hals danach verrenkt. Und Fanni hatte
wehmütig an ihre Reise nach Südamerika gedacht, wo stets erstklassige Hotels
gebucht gewesen waren.
    »Der
Preis für die Reise lässt halt keine großen Sprünge zu«, sagte Sprudel gerade.
»Wir wussten doch, worauf wir uns einlassen.«
    Ja,
dachte Fanni, wir wussten es. Und es ließ sich nicht vermeiden. Auch die
anderen Veranstalter haben für eine solche Reise ein ähnliches Programm zum
fast gleichen Preis angeboten. Deshalb hieß es: so oder gar nicht.
    Ihr
Blick fiel auf die Schwingtür zur Straße, die sich eben geöffnet hatte. Durch
diese Tür, ging es ihr durch den Sinn, hat Martha heute Morgen das Hotel
verlassen. Und sie wird nie mehr irgendwohin zurückkehren.
    Unvermittelt
wandte sie sich an Dora. »Wie kommt es nur, dass niemand gesehen hat, wie
Martha in den Tod stolperte?«
    Teilnehmend
legte ihr Dora die Hand auf den Arm. »Du weißt doch, wie das ist, Fanni. Jeder
ist mit sich selbst beschäftigt. Man kramt in der Handtasche nach den
Tempotaschentüchern oder nach dem Geldbeutel, man sieht sich das Blatt mit dem
Tagesprogramm an oder die Getränkekarte. Aber selbst diejenigen, die zufällig
einen Blick auf die Straße geworfen haben, hätten den Unfall nicht beobachten
können, weil die Sicht mit parkenden Autos, irgendwelchen Kisten und einem Kerl
verstellt war, der einen Holzrahmen mit einem riesigen Plakat vorbeigetragen
hat.«
    Dieses
Plakat hat Hubert gar nicht erwähnt, dachte Fanni. Dora muss wohl einen etwas
anderen Blickwinkel gehabt haben als er.
    Dora
drückte sanft Fannis Arm. »Ich weiß, wie schwer es ist, jemanden zu verlieren,
der einem nahestand.« Sie schaute auf die Tür, deren Flügel wieder
aufschwangen. »Habt ihr vor, noch eine Runde zu gehen? Das ist eine sehr gute
Idee. Draußen fühlt man sich immer besser. Da verflüchtigt sich die Schwermut
ein bisschen.« Sie strich Fanni noch einmal sachte über den Arm und wandte sich
dann in die Richtung, in der sich die Bar befand.

4
    Fanni
und Sprudel waren ein Stück stadteinwärts gegangen und dann zweimal rechts
abgebogen, sodass sie sich nun in einer Parallelstraße hinter der Mohammed V
befanden. Hier reihte sich ein Lokal ans andere – Fastfood, Snackbar,
Eisdiele, Coffeeshop. Entsprechend viele Menschen tummelten sich auf den
Bürgersteigen, die von den erleuchteten Fenstern der Gaststätten nur schwach
erhellt waren.
    Vom
Atlasgebirge wehte noch immer ein scharfer Wind herunter und blies bereits
Winterluft durch

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