Eselsmilch
drei
Abende hintereinander Tajine mit Hühnchen gibt? ›Inschallah!‹ Und wie macht er
am vierten Abend? ›Kikeriki!‹«, fand weder Anklang noch Widerhall. Hubert
überging das betretene Schweigen, indem er eine Flasche Rotwein bestellte.
»Na,
Hubert, willst du dir die Kante geben?«, fragte Bernd, der
Schwachstellenanalytiker, während er mit einem Stück Brotfladen die Reste der
Soße aus dem Tajinegefäß tunkte. »Wie viele Flak hast du denn schon
geschluckt?«
Hubert
reckte die rechte Hand mit allen fünf Fingern hoch.
»Da
sind ja bloß zwei Zentiliter drin«, erklärte Dieter Horn fachmännisch, hob sein
leeres Fläschchen und signalisierte dem Kellner, dass er ein weiteres haben
wolle.
Dieter
sieht gar nicht wie ein Biertrinker aus, dachte Fanni. Im Gegensatz zu Hubert
lässt sich bei ihm nicht mal der Ansatz eines Bäuchleins erkennen. Muskulöser
Oberkörper. Waschbrettbauch. Dabei müssen die beiden ungefähr im gleichen Alter
sein.
Mitte
vierzig vielleicht?
Fanni
nickte gedankenverloren.
»Ich
mache es wie die Beraber-Kamele«, sagte Hubert gerade, »ich saufe, solange es
was zu saufen gibt. Denn damit ist vielleicht bald Schluss. Ich hab nämlich
läuten hören, dass in einfachen Gästehäusern und Restaurants kein noch so
kleines Bierchen ausgeschenkt wird, kein Gläschen Wein, nicht das winzigste
bisschen Alkohol. Aber das kann ja wohl nicht stimmen – oder, Elke?«
Die
Reiseleiterin warf ihm einen ärgerlichen Blick zu und wandte sich an ihre
rechte Tischnachbarin. »Melanie, möchtest du, dass unsere gemeinsame Reise
abgebrochen wird, oder willst du, dass sie weitergeht?«
Melanie
Fuchs sah jetzt womöglich noch verhärmter aus als in den vergangenen Tagen. Um
ihre Mundwinkel hatten sich zwei bogenförmige Furchen gegraben, und auf ihrer
Stirn standen zwei senkrechte Falten. Ihre ohnehin gekrümmte Nase wirkte wie
ein Geierschnabel und ihr Mund wie ein Zickzackband.
Wenn
sie so weitermacht, kann sie in zehn Jahren ihre Brötchen als Hexenlarve
verdienen!
Fanni
unterdrückte einen Seufzer. Ihre Gedankenstimme zeigte sich heute Abend wieder
einmal besonders vorlaut, besonders gehässig, besonders anmaßend. Fanni
versuchte, nicht mehr auf die beißenden Kommentare zu achten, die ständig in
ihrem Kopf aufblitzten, und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Melanie Fuchs zu.
Melanie
wirkte von Elkes Frage völlig überrumpelt. Sie blickte erschrocken in die
Runde, schluckte, senkte den Blick. »Ich verstehe recht gut, wenn Gisela …«
Elkes
Stimme, jetzt eher streng als quengelig, unterbrach sie. »Es geht im Augenblick
nur um deinen ganz persönlichen Wunsch, Melanie. Möchtest du weiterreisen?«
Melanie
vermittelte plötzlich den Eindruck, als hätte sich eine Last auf sie gelegt,
die ihr jedes Wort, jede Bewegung unmöglich machte. Eine Weile herrschte
Schweigen am Tisch. Dann sagte Melanie, und in ihrer Stimme klang eine Mischung
aus Trauer und Härte: »Manchmal ist es am besten, einfach weiterzumachen.«
Nicht
nur Fanni schaute sie daraufhin verwundert an.
Elke
fing sich als Erste wieder und wandte sich an den nächsten in der Runde: Dieter
Horn.
»Antje
und ich«, antwortete Dieter bedächtig, »haben uns schon heute Nachmittag über
das Für und Wider unterhalten. Ich will euch die Argumente ersparen, die uns zu
dem Entschluss brachten, gegen den Abbruch der Reise zu stimmen.«
Während
er sprach, ließ Fanni ihren Blick auf seiner Frau ruhen. Antje war ihr –
obwohl gänzlich ohne bayerische Wurzeln –
Oder
gerade deswegen!
–
von Anfang an sympathisch gewesen. Fanni schätzte sie, wie ihren Mann Dieter,
auf Mitte vierzig. Antjes halblange, natürlich gewellte, mit ersten grauen
Strähnen durchzogene Haare umrahmten ein freundliches Gesicht ohne
Auffälligkeiten.
Sieht
sie nicht ein bisschen wie eine Nachrichtensprecherin aus? So betont untadelig!
Elke
machte zwei Kreuzchen auf einer Liste, die sie sich zurechtgelegt hatte, und
nickte dann dem Ehepaar Brügge ermunternd zu.
Geht
etwa unsere Reiseleiterin davon aus, überlegte Fanni, dass alle Paare so wie
die Horns eine einhellige Entscheidung getroffen haben?
Für
die Brügges traf das offensichtlich zu, denn Otto erklärte lakonisch:
»Weitermachen.«
Kaum
war das Wort ausgesprochen, pressten sich seine kantigen Kiefer wieder
zusammen.
Jetzt
sieht er aus wie eines von den Nussknackermännchen, die um die Weihnachtszeit
überall verkauft werden! Sogar sein weißer Haarkranz passt dazu!
Otto
dürfte fast in
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