Eselsmilch
Marrakeschs Häuserzeilen. Fanni vermisste ihr Tuch und
fröstelte.
Sprudel
blieb stehen, nahm sie in den Arm und wies auf eine schmale Quergasse, die
wenige Meter vor ihnen abzweigte. »Wenn wir dort hinuntergehen, müssten wir
direkt zu unserem Hotel zurückkommen.«
Fanni
zögerte. Die Gasse sah wenig einladend aus, war eng und dunkel.
Während
sie noch unschlüssig dastanden, wurden sie von einem Grüppchen laut miteinander
debattierender Personen überholt. Eine davon schwenkte plötzlich aus dem Pulk
aus und bog in die Gasse ein.
Schön,
dachte Fanni, dann können wir es ja auch versuchen.
Das
Gässchen erwies sich als genauso dunkel und schmal, wie Fanni befürchtet hatte.
Aber offenbar war es kaum dreißig Meter lang, denn am anderen Ende konnte man
bereits die Beleuchtung auf der Mohammed V erahnen.
Zunächst
schlug Fanni einen forschen Schritt an, um möglichst schnell zum tröstlichen
Lichtschein des Hauptboulevards zu gelangen. Aber das holprige Pflaster zwang
sie, langsamer zu gehen und sorgsam auf ihre Tritte zu achten.
Hand
in Hand tasteten sich Fanni und Sprudel vorwärts, an geschlossenen Türen
vorbei, an versteckten Nischen, an offenen Durchgängen.
Ungefähr
nach der Hälfte des Wegs wurde es so finster, dass Fanni, um sich orientieren
zu können, den linken Arm seitlich ausstreckte und die Hand an der Hauswand
entlanggleiten ließ.
Plötzlich
fühlte sie sich am Handgelenk gepackt und grob zur Seite gerissen. Hätte
Sprudel nicht reflexartig fester zugepackt, wäre Fanni in den offenen Durchgang
geschleift worden. So aber befand sie sich halbwegs im Gleichgewicht zwischen
Sprudel und einem unsichtbaren Angreifer.
Der
zog jetzt auf einmal kräftiger. Sprudel machte einen Schritt vorwärts und ließ
die rechte Faust vorschnellen, die jedoch unverkennbar ins Leere traf.
Fanni
und er standen nun frontal zu dem Mauerdurchlass, in dem sich der Angreifer
verkeilt hatte, Fannis Handgelenk umklammert hielt und mit unverminderter Kraft
daran zog.
In
Fanni stieg Panik auf, denn derjenige, der da so unerbittlich an ihr zerrte,
wirkte auf sie nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut, eher wie ein
Gespenst. Seine Gestalt war nur als schwarzer Schemen zu erkennen.
Fanni
hörte Sprudel keuchen und fragte sich bang, wie lange er der Zugkraft noch
standhalten konnte. Falls er den Griff um ihre Hand nur eine Sekunde lang
lockerte, würde sie unweigerlich in das schwarze Loch gesogen werden.
Ungerufen
drang ein Wimmern aus ihrer Kehle.
Memme!
Verpass dem Kerl lieber einen Tritt!
Das
wagte sie nicht. Was, wenn ich ihn nicht treffe, unsichtbar wie der Angreifer
ist?, fragte sie sich ängstlich. Was, wenn ich durch einen Tritt ins Nichts
Sprudel und mich zu Fall bringe und damit dem anderen in die Hände spiele?
Sprudel
hatte indessen einen weiteren Schritt nach vorn gemacht, offenbar in der
Absicht, sie hinter sich zu drängen und selbst näher an den Widersacher
heranzukommen.
Fanni
schrie auf, weil es sich so anfühlte, als würde ihr ohnehin überstreckter Arm nun
auch noch ausgekugelt werden.
Da
hörte der Schemen im Durchgang urplötzlich auf zu zerren.
Fanni
torkelte so heftig rückwärts, dass sie Sprudel zu Fall brachte. Bevor er auf
dem Boden aufschlug, gelang es ihm allerdings noch, Fanni herumzureißen und unter
sich zu begraben.
Einen
Moment lang herrschte vollkommene Stille.
Dann
hörte Fanni ein Scharren. Sie fühlte, wie sich Sprudel ein wenig aufrichtete,
und hob ebenfalls den Kopf, um nachzusehen, ob der Angreifer fort war.
Dunkelheit
umgab sie wie mit Tinte getränkte Watte.
Plötzlich
nahm Fanni eine Bewegung über sich wahr, nahezu gleichzeitig griff Sprudel nach
ihr und presste ihren Kopf unter seine Schulter. Im nächsten Augenblick stöhnte
er auf und sackte über ihr zusammen.
Aus,
dachte Fanni, als sie Schritte hörte, die neben ihr verhielten. Eine Hand
zwängte sich unter Sprudels Schulter, die Finger verflochten sich mit ihren
Haaren und rissen daran.
Fannis
Wange schrammte über rauen Stein – ein paar Zentimeter jedoch nur, mehr
nicht, denn zügig entglitten ihre kurz geschnittenen Haare den grob zupackenden
Fingern.
Das
ist deine Chance! Er wird einen Augenblick loslassen müssen, um sich tiefer in
deinen Haarschopf einkrallen zu können!
Prompt
ließ die Hand locker, und bevor sie von Neuem zugreifen konnte, hatte Fanni
ihren Kopf gedreht und die Zähne in etwas geschlagen, das sich wie ein Knorpel
anfühlte.
Sie
biss zu, so fest sie
Weitere Kostenlose Bücher