Eskandar: Roman (German Edition)
Geburtsdatum. Der Beamte mustert Eskandar-Agha, sagt, für mich siehst du aus wie einer, der siebenunddreißig Jahre alt ist.
Ich fühle mich aber wie vierunddreißig, antwortet Eskandar-Agha.
Dann einigen wir uns eben auf fünfunddreißig, schlägt der Beamte vor und registriert Eskandar Khod-Mokhtar, geboren in Naftun, am 16. Farwardin des Jahres 1280.
Am nächsten Tag geht Eskandar-Agha bereits in aller Frühe in den Basar, damit er seine Aftab-Khanum unbemerkt mit in den Laden nehmen kann. Sie verhängen den hinteren Teil des Ladens mit einem Tuch, damit Aftab-Khanum sich dort geschützt vor den Blicken fremder Männer aufhalten und die reparaturbedürftigen Dinge nähen, stopfen und mit hübschen Flicken versehen, aber vor allem ihrem Mann Gesellschaft leisten kann.
Zeigen Sie mir, wie man Laden schreibt, sagt Aftab-Khanum. Und Vorhang. Kleid. Hose. Topf. Radio. Laterne. Familienname. Heimlichkeiten. Geheimnis.
Als die anderen Männer herausfinden, welches Geheimnis Eskandar-Agha hinter dem Vorhang verbirgt, sind sie aufgebracht. Weder gefällt ihnen, dass eine Frau im Basar arbeitet, noch, dass sie überhaupt in ihre Welt kommt und in geschäftliche Dinge einbezogen wird.
Doch anstatt dass das Gerede der Leute seinen Geschäften schaden könnte, passiert genau das Gegenteil. Mehr Kunden denn je kommen in den Basar, um die Frau zu sehen, die den Mut besitzt, im Basar zu arbeiten.
Eines Tages allerdings, gerade als Eskandar-Agha zum Kebabi geht, um Essen für sich und seine Frau zu besorgen, taucht ein Fremder auf, wähnt den Laden unbewacht und kramt in den Kisten und Körben nach etwas von Wert. Er erschreckt sich zu Tode, als Aftab-Khanums Kopf hinter dem Vorhang auftaucht. Doch statt wegzulaufen oder eine Ausrede zu erfinden, warum er in ihren Sachen herumwühlt, fängt der Mann an, sie aufs Übelste zu beschimpfen, warum sie sich dem Blick fremder Männer aussetzt und ob sie denn keine Ehre zu verlieren hat und die Strafe Allahs nicht fürchtet.
Als Eskandar-Agha zurückkommt, scheint alles wieder vollkommen normal zu sein. Der Fremde hockt diesseits und Aftab-Khanum züchtig jenseits des Vorhangs, und sie hält ihm einen Vortrag darüber, dass die erste Frau des Propheten, die verehrte Khadija, ebenfalls eine Geschäftsfrau war. Anders als ich hat sie nicht nur Handel in einem kleinen Laden betrieben, sagt Aftab-Khanum. Khadija hat ganze Karawanen von China bis ins Reich der Osmanen geschickt, um Waren zu kaufen und zu verkaufen. Die verehrte Frau unseres heiligen Propheten ist mächtiger, klüger, reicher gewesen als alle Händler dieses Basars zusammen genommen, klärt Aftab-Khanum den Fremden auf.
Wo hat der Prophet eine solche Frau gefunden?, fragt der Fremde.
Nicht er hat sie, sondern sie hat ihn gefunden, sagt Aftab-Khanum stolz. Die verehrte Khadija hat den Propheten, er sei gepriesen und gelobt, in ihre Dienste genommen, als sie bereits die vierzig überschritten hatte und der Prophet noch ein junger Mann gewesen ist. Er konnte weder schreiben noch lesen, war ein einfacher Kameltreiber, wie viele andere junge Männer im Dienst der verehrten Khadija-Khanum. Und eines schönen Tages hat sie entschieden, ihren Kameltreiber Mohammad zu heiraten.
Sie ist es gewesen, die den heiligen Propheten geehelicht hat?, fragt der Fremde noch immer ungläubig.
Inzwischen wundern Eskandar-Agha und Aftab-Khanum sich nicht mehr darüber, wie wenig die Leute über die Religion, an die sie glauben, den Propheten, dessen Lehren sie befolgen, den heiligen Koran, nach dessen Gesetzen sie ihr Leben ausrichten sollen, tatsächlich wissen. Eskandar-Agha stellt das dampfende und angenehm duftende Essen ab, begrüßt den Fremden und freut sich, ihm seinerseits sein Wissen zu vermitteln, doch der Mann sieht ihn nicht einmal an, murmelt ein paar Abschiedsworte und verschwindet.
Wer ist das gewesen?, fragt er. Ein neuer Kunde?
Nein, kein Kunde, erklärt Aftab-Khanum seelenruhig und breitet das Sofreh auf dem Boden aus. Er ist ein Dieb gewesen, der seine Meinung geändert hat, nachdem ich ihm die Geschichte der Frau des Propheten erzählt habe.
Die Geschichte vom Dieb spricht sich genauso schnell in den umliegenden Buden und Läden herum wie andere Nachrichten, und fortan verliert keiner der Männer auch nur ein Wort darüber, dass Frauen im Basar nichts verloren hätten. Und nicht lange, und es tauchen sogar die ersten Frauen auf, um bei Aftab-Khanum einzukaufen. Zuerst begleiten ihre Männer sie, und während die
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