Eskandar: Roman (German Edition)
Frauen hinter den Vorhang zu Aftab-Khanum verschwinden, warten die Männer vorne mit Eskandar-Agha, trinken Tee und reden über Gott und die Welt.
Nach und nach bringen die Frauen ihre Schwestern, Mütter und Nachbarinnen mit, sodass Eskandar-Agha seiner Sonne immer mehr Platz abtreten und den Vorhang weiter vorne aufhängen muss, bis für ihn selbst schließlich nur noch ein schmaler Streifen des Ladens übrig bleibt.
Viele meiner Kundinnen brauchen gar keine Kleider, Töpfe oder sonst was, sagt sie hinter dem Vorhang hervor und wartet, bis Eskandar-Agha seinen Kopf zu ihr hineinsteckt. Sie benutzen unseren Laden als Ausrede, weil sie endlich die engen vier Wände ihrer Häuser verlassen können, weil sie endlich mit einer anderen Frau als ihrer Schwester, Mutter oder den Nebenfrauen ihrer Männer Tee trinken und ihr Herz ausschütten können, sagt Aftab-Khanum, und so bringen sie mich ihrerseits auf neue Gedanken und Einfälle.
Möge Allah geben, dass es gute Gedanken und Einfälle sind, sagt Eskandar-Agha. Und möge der auch geben, dass wir uns damit nicht wieder Ärger mit den anderen Händlern und Handwerkern einhandeln. Das können wir uns nicht leisten.
Doch statt sich Ärger einzuhandeln, freuen sich die anderen Händler im Basar jetzt sogar, denn nach und nach kaufen die Frauen nicht nur bei Aftab-Khanum ein, sondern suchen auch die anderen Läden auf.
Frauen haben den besseren Geschmack, sagen die Händler, sie wissen nicht, was sie wollen, und man kann ihnen viel mehr verkaufen, als sie ursprünglich haben wollen, und sie geben das Geld viel leichter aus als viele Männer.
Das Schlapp-Schlapp ihrer weichen Schritte, das ungewohnte Klick-Klick ihrer Farangi-Absätze, ihre Stimmen, ihr Tuscheln, ihr gelegentliches Lachen, das Rascheln ihrer Röcke und Schleier irritieren schon bald keinen Mann mehr. Und nach und nach gewöhnen sich die Händler daran, dass auch ihre eigenen Frauen, Töchter und Mütter zu den Frauen gehören, die das Haus verlassen, auf die Straße gehen, in den Basar kommen, feilschen, verhandeln, einkaufen. Und um alles das tun zu können, müssen sie mit fremden Männern sprechen, die wiederum ihre Stimmen hören, ja manchmal sogar ihr Gesicht und ihre Hände sehen.
Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen verändern auch wir uns, sagen die Männer im Basar, wie sie es von Eskandar-Agha gelernt haben, und hoffen, sie sind nicht die Einzigen, die so denken.
Einmal kauft eine Frau ein grün glitzerndes Farangi-Kleid von Aftab-Khanum. Ohne Ärmel und mit einem tiefen Ausschnitt, der den Blick freigibt auf ihren Hals, ihre Schultern und beinah sogar den Ansatz ihrer Brüste. Wenn dieses Kleid mir auch nicht hilft, weiß ich keinen Ausweg mehr, sagt sie, sieht Frau-Aftab traurig an und kann es nicht abwarten zu erzählen.
Sofort schießen Tränen in ihre Augen. Liebe Schwester, sagt sie schluchzend, ich bin so unglücklich wie niemand sonst. Mein Mann verhält sich wie ein Bruder, nicht wie ein Ehemann, verstehen Sie? Er kommt seinen ehelichen Pflichten nicht nach. Verstehen Sie? Nacht für Nacht liege ich da und verzehre mich nach ihm, er aber wendet sich ab von mir, gibt mir das Gefühl, keine Frau, jedenfalls keine richtige, keine begehrenswerte Frau zu sein.
Inzwischen hat Aftab-Khanum mit ihrem Eskandar-Agha den Koran lang genug studiert, und sie weiß, der verehrte Prophet hat für derlei Probleme eine Lösung. Sie tröstet die arme Frau, sagt, Sie haben ein Recht darauf, er ist verpflichtet, seinem ehelichen Auftrag nachzukommen. Das hat der verehrte Prophet persönlich bestimmt.
Liebe Khanum, wo denken Sie hin?, sagt die Frau und schluchzt nur noch heftiger. Glauben Sie, es nutzt etwas, wenn ich meinen Agha darüber aufkläre, was der Prophet vor über tausend Jahren gepredigt hat?
Aftab-Khanum tupft das Gesicht der Frau mit Rosenwasser ab und ruft nach dem Teejungen, er soll Tee und Kandis bringen. Seien Sie unbesorgt, tröstet Aftab-Khanum die Frau. Ich werde meinen Eskandar-Agha bitten, gleich morgen mit Ihrem Agha zu sprechen.
Khanum, Sie sollten wissen, dass derartige Einmischungen mir und Ihnen und unserem Laden nichts als Ärger einbringen, schimpft Eskandar. Ehrlich gesagt bin ich es leid, dass Ihr Ruf sich im Basar und sonst überall herumgesprochen hat und immer mehr hilfesuchende Frauen kommen, um Ihren, oder besser gesagt, meinen Rat und meine Unterstützung zu erhalten.
Sie sagen, Sie wollen mein Glück, erwidert Aftab-Khanum ruhig. Sie sagen, Sie wollen lieber
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