Eskandar: Roman (German Edition)
Strohhalm, so wie Aftab-Khanum es am Nachbartisch der Farangi gesehen hat. Sie nimmt den Halm in den Mund, hebt die Flasche und kippt sich das kostbare Getränk auf ihren Schleier. Erschrocken springt sie auf und rennt, so schnell sie kann, in die nächste Gasse, wo sie bitterlich weint.
Ich für meinen Teil bin froh, dass Ihnen dieses kleine Missgeschick passiert ist, sagt Eskandar-Agha, als er zu ihr kommt. Sie werden sehen, in ein paar Jahren werden auch Sie selber darüber lachen. Es ist eine wunderbare Geschichte.
Es gefällt Ihnen also, wenn ich mich blamiere, klagt Aftab-Khanum. Dann sollte ich gleich weitermachen und noch mehr Dinge versuchen, die ich nicht kenne. Was halten Sie davon, wenn ich wie die Farangi-Madam auf dem Zweirad oder gleich mit dem Automobil fahre oder wie sie öffentlich Zigaretten rauche?
Kommen Sie, sagt Eskandar-Agha. Lassen Sie uns die verbleibende Zeit nutzen und etwas unternehmen, was wir noch nie getan haben. Wir könnten in eines dieser neuartigen Theaterhäuser gehen, die die Farangi Cinema nennen. Dort gibt es keine echten Menschen zu sehen, es wird nur ihr Abbild gezeigt.
Der Film läuft bereits, sagt der Billettverkäufer. Sie können hinein, wenn Sie wollen, und sitzen bleiben, bis der Vorführer die Rolle zurückgespult hat und die nächste Vorstellung beginnt, dann können Sie den Anfang sehen.
Der Raum ist dunkel, hat keine Fenster, die Holzbänke sind unbequem, die Menschen auf der Leinwand sind riesig. Es ist laut, Seeleute reden und lachen, als wären sie allein im Theater. Eskandar-Agha und Aftab-Khanum halten sich fest an den Händen, und als der Held auf der Leinwand seine Pistole auf sie richtet, schreien sie vor Schreck, springen auf und rennen auf die Straße hinaus.
1935, Familiennamen und die Sache mit Frauen und Männern
Mit dem Kauf und Verkauf von gebrauchten Kleidern und Waren hat Eskandar nicht nur seinen Schwiegervater und den befreundeten Händler glücklich gemacht. Er hat so viel Erfolg damit, dass er eine zweite und dritte und noch viele weitere Reisen nach Abadan unternimmt, um von den Farangi Sachen zu kaufen und sie im Basar von Schiras an seine Landsleute weiterzuverkaufen. Und er verdient so viel Geld damit, dass er sich sogar einen eigenen kleinen Laden mieten kann.
Ich will ehrlich mit dir sein, sagt der Ladenbesitzer. Die Miete ist nur deshalb so günstig, weil niemand gegenüber vom Zahnarzt sein will. Den ganzen Tag wirst du das Surren seines Rades, mit dem er die Bohrer betreibt, hören, du wirst den Äther riechen. Du siehst seine Patienten und wie er ihnen mit Zange und Hammer im Mund hantiert, das Schmerzgeschrei zerrt wirklich an den Nerven. Bisher hat es hier keiner lange ausgehalten.
Ich will den Laden trotzdem nehmen, sagt Eskandar. Das ist eine gute Adresse, die man sich leicht merken kann: Kleider aus zweiter Hand gegenüber vom Zahnarzt. Und sollten der Geruch von Äther und das Schmerzensgeschrei mich zu sehr belästigen, werde ich eine Pause einlegen und das Teehaus aufsuchen.
Die Sachen müssen gewaschen werden, damit sie nicht najess sind, sagt Aftab-Khanum. Und jemand muss die Löcher stopfen und die aufgerissenen Nähte ausbessern.
Khanum, ich sehe es Ihrer Nasenspitze an, dass Sie auf etwas vollkommen anderes hinauswollen.
Lassen Sie uns ein Abenteuer wagen, sagt Aftab-Khanum.
Seit ich Sie nach Abadan mitgenommen habe, sind Sie scheinbar süchtig geworden nach Abenteuern.
Ich werde Sie in den Laden begleiten, verkündet Aftab-Khanum. Dann ist keiner von uns allein, und ich kann Ihnen helfen, und Sie können mir Schreiben und Lesen beibringen.
Was? Schreiben und Lesen? Eskandar-Agha muss schlucken, damit es ihm nicht herausrutscht: Mahrokh-Khanum konnte lesen und schreiben. Stattdessen fragt er, wozu werden Sie das wohl gebrauchen können?
Das weiß nur Allah, antwortet Aftab-Khanum und sieht über sich. Jedenfalls werde ich mit Ihnen in den Laden kommen, und alles andere wird sich zeigen. Ein paar Wörter habe ich bereits gelernt, sagt Aftab-Khanum und schreibt ihren eigenen Namen vorsichtig auf einen Zettel. Dann schreibt sie Khoda, Gott. Wissen Sie, was das bedeutet?
Khanum, Sie wollen mich zum Narren halten.
Nein. Natürlich weiß ich, dass Sie wissen, dass Khoda Gott bedeu tet. Aber wissen Sie, dass Khod nichts anders ist als das Wort selbst, und das a steht für Adam, der Mensch. Und Khoda bedeutet: der Mensch selbst. Der Prophet Zartosht ist nämlich der Meinung gewesen, Gott ist in jedem Menschen
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