Eskandar: Roman (German Edition)
sterben als mich unglücklich sehen.
Hören Sie auf, Sie wissen genau, allein der Gedanke an Ihr Unglück zerreißt mein Herz.
Ich danke Ihnen, erwidert Aftab-Khanum und küsst ihren Eskandar-Agha auf den Kopf, auf dem das Haar inzwischen nicht mehr ganz so schwarz und voll sprießt wie früher.
Um keinen Ärger mit dem Mullah, der für das Viertel zuständig ist heraufzubeschwören, geht Eskandar-Agha zuerst zu ihm.
Ich kenne die Saifeh, sagt der Mullah. Ihr Mann und sie wohnen in meiner Gasse. Sie kommt wöchentlich zu meinem Roze-Khanum. Es ist jedes Mal das Gleiche. Ich habe noch nicht begonnen, die Leidensgeschichte des Propheten oder eines Heiligen oder Märtyrers zu erzäh len, da fängt die Saifeh auch schon an zu weinen und hört nicht mehr auf damit. Sie ist süchtig nach Leid und genießt ihre eigenen Tränen. Sie weint so viel, dass ich manchmal fürchte, sie weint sich zu Tode und stirbt in meiner Hütte. Würde ich sie nicht zwingen, nach Hause zu gehen, würde sie gleich ganz hierbleiben, sagt der Mullah und lächelt selbstgefällig.
Wissen Sie, was diese arme Saifeh bewegt?
Der Mullah hebt die Augenbrauen und sieht Eskandar-Agha auf eine Art an, dass er bereut, sich eingemischt zu haben.
Baradar, gefällt sie Ihnen?, fragt der Mullah.
Um Gottes willen, verehrter Agha. Wo denken Sie hin? Ich bin hier, weil ich denke, dass jemand mit dem Mann der Saifeh sprechen und ihn an seine ehelichen Pflichten erinnern sollte.
Und wer soll das tun? Sie denken doch nicht an mich. Und überhaupt, was geht Sie diese Angelegenheit an?
Soweit mir bekannt ist, antwortet Eskandar-Agha, hat die Arme ihren ganzen Mut zusammen genommen, Ihnen als Mann Gottes ihr Vertrauen geschenkt und Sie um Hilfe und Rat ersucht.
Das ist richtig, antwortet der Mullah. Und ich habe ihr meinen Rat erteilt, nämlich, dass sie Geduld haben soll.
Geduld?, fragt Eskandar-Agha. Wenn ich richtig verstanden habe, ist der Ehemann seinen ehelichen Pflichten bis zum heutigen Tag kein einziges Mal nachgekommen. Lieber, verehrter Akhund, Sie wissen besser als ich, was der heilige Prophet in diesem Fall bestimmt; eine solche Ehe ist nicht vollzogen und deshalb ungültig.
Das weiß ich, brummelt der Mullah. Ich weiß aber auch, dass ich abhängig bin von der Gunst und den Abgaben dieser Menschen und so auch von dem Mann dieser Frau, sagt der Mullah. Ich will keinen Ärger.
Aber vor allem sind Sie doch verantwortlich für das Wohlergehen dieser Menschen, sagt Eskandar-Agha. Und Sie müssen sich vor Allah verantworten.
Für mich ist diese Angelegenheit erledigt, antwortet der Mullah, und ich werde mich nicht weiter einmischen.
Nichts anderes habe ich erwartet, murmelt Eskandar-Agha.
Wenn Sie klug sind, lassen auch Sie die Sache auf sich beruhen, sagt der Akhund.
Gott beschütze auch Sie, sagt Eskandar-Agha, verflucht den Tag, an dem er begonnen hat, seiner Sonne Lesen, Schreiben und die Verse des Koran beizubringen, und geht zum Haus der vernachlässigten Frau und ihrem Mann.
Die beiden leben in einem ähnlichen Zimmer wie Eskandar und seine Aftab-Khanum. Es hat ein großes, kniehohes Fenster zum Hof, und in jeder Wand befindet sich eine Nische, ringsherum liegen Polster und Sitzkissen. Der Samowar steht in der Ecke unter der Nische, wo die Gläser, Teller und Pfannen gestapelt sind. In diese Ecke zieht die arme Frau sich zurück und bedeckt mit ihrem Schleier ihr Gesicht, ihr Rücken ist Eskandar-Agha zugekehrt, der ebenfalls mit dem Rücken zu ihr auf dem Boden sitzt.
Der Mann der Unglücklichen beschimpft und verflucht seine Frau, Eskandar-Agha und Aftab-Khanum, den Mullah, Gott und die Welt, bis seine Frau in der Ecke sich die Ohren zuhält und anfängt zu winseln. Sie klingt wie ein verletztes Tier, windet sich, schluchzt, bis sie es nicht mehr aushält, aufspringt, ihren Schleier noch tiefer ins Gesicht zieht und hinaus in den Hof flüchtet. Um sich vor den neugierigen Blicken der Nachbarn aus den anderen Zimmern zu verstecken, kriecht sie in die hinterste Ecke gleich neben dem Abort, wieder mit dem Gesicht zur Wand.
Natürlich wissen die Nachbarn längst vom Unglück der Armen und dass Eskandar-Agha nicht nur einfach ein Gast ist, sondern versucht, zwischen den beiden zu vermitteln. Sie haben darauf gewartet, darauf gehofft, dass die arme Frau herauskommt, damit sie erfahren können, was im Zimmer vor sich geht. Die Nachbarinnen legen der Unglücklichen die Hand auf den Rücken, nehmen sie in den Arm, trösten sie, manche haben
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