Eskandar: Roman (German Edition)
so viel Mitleid, dass sie sogar mit ihr weinen.
Möge Allah allen Leidenden, allen Verlassenen, Hungernden, Betrogenen und Einsamen helfen, klagen die Frauen. Möge Allah deinem Mann und allen Männern, die ihren Frauen Unrecht tun, die Pest schicken und sie aus dieser Welt nehmen, fluchen sie und schlagen sich wie beim besten Roze-Khanum auf Brust und Kopf.
Als Eskandar-Agha endlich in den Hof hinauskommt, ziehen die Frauen sich die Schleier übers Gesicht und kehren ihm allesamt den Rücken zu. Dann taucht der Mann der Vernachlässigten mit einem gepackten Bündel auf. Das sind deine Sachen. Der Mann spricht laut und deutlich, damit alle ihn verstehen. Ich werde dich in das Haus deines Vaters zurückbringen und ihm deine Mehri-e, deine Mitgift, zurückgeben. Ich selbst werde auf Anraten des verehrten Agha-Eskandar zum Schrein des achten Emam-Resa nach Maschhad pilgern, ihn um Vergebung bitten und mein Schicksal in seine Hände legen. Ich werde mit Hilfe dieses Bruders ein Schreiben aufsetzen, in dem steht, dass meine Ehe mit dir nicht vollzogen ist. Du bist frei, sagt der Mann. Deine Ehre ist intakt, so möge ein aufrechter und gläubiger Bruder um deine Hand anhalten.
Die Vernachlässigte, die Nachbarinnen und die Kinder, die sich um ihre Mütter scharen, schweigen, niemand rührt sich. Bis mit einem Mal die Unglückliche erneut anfängt zu schluchzen, mit ihrem Klagen und ihren Tränen abermals die anderen Frauen und auch deren Kinder ansteckt. Schließlich weinen und wimmern alle. Unter ihren Schleiern auf dem Boden kauernd, sehen die Frauen aus wie schwarze Säcke, die sich rütteln und schütteln und dazu schrille, gellende Töne von sich geben und einen Höllenlärm veranstalten. Schließlich kommt auch der Mullah in den Hof, spielt sich auf und schimpft.
Ist es das, was Sie erreichen wollten?, schreit er Eskandar-Agha an und droht mit erhobener Faust.
Doch der Mann der Vernachlässigten geht dazwischen und beruhigt den Akhund. Mein Bruder hat recht getan, mir seinen Rat zu erteilen, sagt er mit sanfter Stimme. Er ist ein guter und gläubiger Moslem, ich werde ihm dankbar sein und für sein Leben und das seiner Angehörigen beten, solange ich in dieser Welt bin.
Der Mullah weiß nicht, was er sagen soll, sieht Eskandar-Agha an, den unglückseligen Ehemann, die heulenden Frauen. Er dreht und wendet sich, macht viel Wind mit seinem Umhang und sagt, ich erwarte euch zum nächsten Roze-Khanum. Dann verschwindet er wieder.
Was haben Sie ihm geraten, dass er eingewilligt und seine Frau frei gegeben hat?, fragt Aftab-Khanum, beeindruckt von dem Geschick und Können ihres Mannes.
Was bekomme ich von Ihnen, wenn ich es Ihnen verrate?
Das Gleiche, was ich von Ihnen bekommen werde, weil ich nicht lockergelassen und Sie zu der unglückseligen Frau geschickt habe, antwortet Aftab-Khanum. Schließlich ist es auch mein Verdienst, dass Sie dem unglückseligen Paar helfen konnten.
Es soll im Feuer der Hölle brennen, wer auch nur einer Menschenseele gegenüber preisgibt, was das Geheimnis dieses Mannes ist, beschwört Eskandar-Agha seine Frau.
So soll es sein, sagt sie, hockt sich dicht neben ihm auf den Boden und sieht ihn neugierig und auch mit einem gewissen Stolz an. Nun erzählen Sie schon, sagt sie, weil sie weiß, dass er es mag, wenn sie ihn bittet.
Der Unglückselige ist von Gott nicht als richtiger Mann erschaffen worden, erklärt Eskandar-Agha und genießt die Verwirrung seiner Frau.
Was meinen Sie? Wie kann ein Mann kein richtiger Mann sein?
Er liebt nicht die Frauen. Er liebt Männer.
Was hat das zu bedeuten? Hören Sie auf, in Rätseln zu sprechen.
Der Grund, warum der Unglückselige seinen ehelichen Pflichten nicht nachkommen kann, ist kein böser Wille, sondern eine Art Krankheit. Schon bei der Vorstellung, dass er sich mit einer Frau vereinen muss, schüttelt es ihn, es ekelt ihn, es ist ihm widerwärtig.
Der Unglückselige, murmelt Aftab-Khanum, ohne wirklich zu verstehen, wovon ihr Mann spricht. Möge Allah seiner armen Seele gnädig sein.
Wieso Seele? Schließlich ist er nicht tot, sondern nur krank.
Eine Krankheit, von der Sie meinen, dass der arme Emam-Resa sie heilen kann?
Eskandar-Agha zuckt die Schultern. Was hätte ich tun sollen? Das Grab des heiligen Emam-Resa und das seiner Schwester, der heiligen Massumeh, in Qom sind die einzigen beiden Gräber von Heiligen, die ich besucht habe und kenne. Da der Unglückselige mit Frauen Probleme hat, dachte ich, ihn zur heiligen Fateme
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