Eskandar: Roman (German Edition)
Sagen und Legenden von Prinzen und Prinzessinnen, von Div und Jinn, von Eroberungen und Niederlagen, von Liebe und Hass, von dieser und von anderen Welten erzählen.
Sollten die Engelissi uns gar nicht mehr weiterreisen lassen, könnte ich das Geld für unser tägliches Brot ebenfalls mit Geschichtenerzählen verdienen, sagt Eskandar-Agha.
Sie klingen, als hoffen Sie geradezu, es würde so kommen, sagt Aftab-Khanum.
Und Sie klingen, als würde es Ihnen nicht gefallen, wenn Ihr Mann nichts weiter als ein kleiner Geschichtenerzähler wäre.
Da täuschen Sie sich, antwortet Aftab-Khanum. Ich werde Sie nicht abhalten, und von mir aus können Sie tun, was immer Sie wollen. Hauptsache, es macht Sie glücklich.
Vielleicht werde ich es morgen einfach nur aus Spaß in einem der Teehäuser versuchen, antwortet Eskandar, ohne selber daran zu glauben.
Und den Beweis muss er auch nicht antreten, denn am nächsten Tag öffnen die Engelissi die Wege wieder, geben die Eisenbahn wieder frei, und Eskandar-Agha und Aftab-Khanum können ihre Reise nach Teheran fortsetzen.
Ein Zwischenfall und seine großen Folgen
Der zweite große Krieg ist zwei Jahre alt, als Eskandar-Agha und seine Aftab-Khanum in der Hauptstadt eintreffen. Sie mieten ein Zimmer, finden einen kleinen Laden im Basar, kaufen einen Teppich, eine Truhe für ihre persönlichen Sachen und einen schweren Vorhang, den sie vor die alte, zugige Holztür hängen. In den reicheren Vierteln der Stadt haben die Häuser bereits elektrisches Licht, und es gibt sogar fließendes Wasser. In ihrem Viertel werden manche Gassen und das eine oder andere Haus mit Gas erleuchtet, und Wasser liefert der Wassermann.
Eskandar-Agha und Aftab-Khanum haben keins von beidem. Wasser schöpfen sie aus einem Djub, der durch ihren Hof fließt, und Licht geben wie in Schiras Laternen, die sie mit Petroleum auffüllen. Im Sommer allerdings, wenn der Djub tageweise kein Schmelzwasser aus den Bergen hat, kommt auch in ihre Gasse der Wasserbringer mit seinem Karren voll mit Fässern und Eimern frischen Wassers und manchmal sogar richtigem Eis.
Wir haben Glück, freut Aftab-Khanum sich. Wir müssen uns nicht wie so viele andere fürchten, krank zu werden. Denn unser Wasserbringer scheint Wert auf Sauberkeit zu legen, jedenfalls habe ich noch nie Würmer oder Larven im Wasser entdeckt.
Wir werden ihm ein gutes Trinkgeld geben, sagt Eskandar-Agha, damit der Wassermann auch weiterhin seine Fässer sauber hält und sich die Mühe macht, uns kein abgestandenes Wasser zu bringen.
Aftab-Khanum geht zu zwei Ärzten, die beide in Farangestan Frauenkunde studiert haben. Der eine sagt ihr geradeheraus ins Gesicht, dass sie ihre Hoffnung auf eigene Kinder endgültig aufgeben soll, der andere verabreicht ihr Medizin, von der ihr zwar übel wird, sie aber trotzdem ohne Kinder bleibt.
Wenigstens ist hier in der Hauptstadt was los, sagt sie und versucht ihre Enttäuschung zu verbergen. In den Straßen sind von früh bis spät Menschen unterwegs, man kann ständig etwas oder jemanden hören und hat das Gefühl, immer Gesellschaft zu haben. Nur der Winter und sein raues, heftiges Wetter setzen mir zu, beklagt Aftab-Khanum sich. Das kalte Klima kriecht mir in die Knochen, sagt sie. Ich spüre, es wird mich krank machen.
Das werde ich nicht zulassen, antwortet Eskandar-Agha und schleppt, noch lange bevor der Winter beginnt, einen mit Holzkohle beladenen Karren nach Hause. Einen Tag später bringt er einen niedrigen Korssi-Tisch mit, den er vom Schreiner hat bauen lassen, und für darunter eine extra große Pfanne für Kohle.
Ich werde dafür sorgen, dass die Pfanne Tag und Nacht mit heißer Kohle gefüllt ist, verspricht Eskandar-Agha.
Den Tisch stellen sie in die Ecke vor das niedrige Fenster, und Aftab-Khanum legt Polster, Sitzkissen und Rückenrollen darum und eine dicke Steppdecke darüber, unter die sie sich an kalten Wintertagen verkriechen und in der Nacht schlafen können.
Und wenn wir, so Allah will, mit unserem neuen Laden eines Tages viel Geld machen, sagt Aftab-Khanum, lassen wir uns den einen oder anderen Stuhl bauen und sitzen nicht mehr auf dem Boden und schlafen in einem richtigen Bett und essen an einem richtigen Tisch statt auf dem Boden oder am Korssi, sagt sie und beobachtet ihren Mann genau, um zu sehen, was er von ihren neuen Ideen hält.
Und als er nur nickt und weiter an seinen Notizen schreibt, sagt sie, wer weiß, jetzt, wo wir in der modernen Hauptstadt leben, werde ich
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