Eskandar: Roman (German Edition)
sagt sie und geht jede Woche gleich zweimal zum Roseh-Khani in die Moschee, wo sie anschließend zusammen mit anderen Frauen aus der Nachbarschaft betet und kocht und zum Freitagsgebet große Mengen Essen an die Armen verteilt. Und anschließend hockt sie mit ihren religiösen Schwestern im Frauentrakt und pflichtet den Mullah bei, die ungehemmt gegen den König wettern.
Khanum, Sie können das Rad der Zeit nicht anhalten oder gar zurückdrehen. Sogar die anerkannten religiösen Gelehrten wollen den Islam bereinigen und ihn der Moderne angleichen, versucht Eskandar-Agha seiner Frau Vernunft einzureden.
Die sind gekauft, schneidet Aftab-Khanum ihrem Mann das Wort ab.
Am Ende werden Sie wie Ihre Freunde aus der Moschee glauben, Lokomotiven sind unrein, in Telegrafenleitungen gibt es Jinn, und Flugzeuge fliegen, weil Engel sie tragen.
Sehen Sie selbst, sagt Aftab-Khanum und zeigt ihrem Eskandar-Agha Ausschnitte aus der Zeitung. Anstand und Moral sind in unserem Land dem Untergang geweiht, sagt sie kämpferisch. Diese Ausschnitte habe ich für Sie mitgebracht, damit sie Sie in ihre Notizblöcke kleben.
Khanum, ich bin schockiert, rutscht es Eskandar-Agha heraus, als er das erste Bild sieht. Es zeigt eine Frau in kurzen Hosen, die ihre nackten Beine dem Betrachter entgegenstreckt. Darunter heißt es: Von jetzt an müssen enge und kurze Hosen Mode werden, sodass jedermann den schönen Anblick der Saba-Strümpfe genießen und bewundern kann.
Und in dieser Anzeige, ruft Aftab-Khanum und winkt mit einem anderen Zeitungsausschnitt, wirbt der Hersteller eines alkoholischen Getränks dafür, dass man jeden Tag ein Glas davon trinken soll, damit man seine Müdigkeit und Schlaffheit loswird. Jetzt sollen wir auch noch vom Propheten verbotenen Alkohol trinken, und der Hersteller dieses Teufelsgetränks darf öffentlich und ohne jede Strafe und Rüge dafür werben.
Das ist allerdings tatsächlich -
Nein, sagen Sie nichts. Sehen Sie hier, flucht Aftab-Khanum. Da wirbt ein Gottloser, der wahrscheinlich nicht von einer Mutter und einem Vater, sondern vom Teufel abstammt, für ein Mittel, das Hadaco heißt. Haben Sie davon schon einmal gehört? Aftab-Khanum sieht ihren Mann so wütend an, als wäre es seine Schuld, dass es dieses Produkt gibt.
Nein, Khanum, ich weiß nicht einmal, was das ist.
Das will ich Ihnen auch geraten haben, schimpft sie. Hadaco ist eine Medizin, mit der man, Allah, vergib mir, sagt sie, beißt sich auf die Lippe und reicht den Ausschnitt ihrem Mann. Ich bringe es nicht über die Lippen, sagt sie, lesen Sie selbst.
Die beste Medizin zur Heilung von sexueller Impotenz und frühzeitiger Ejakulati-, liest Eskandar-Agha halblaut und sieht seine Aftab-Khanum fassungslos an. Khanum, woher haben Sie das? Soll das heißen, dass Sie und die anderen Frauen zusammen mit den Mullah nach diesen Dingen in den Zeitungen suchen, sie ausschneiden und dann darüber mit wildfremden Männern in der Öffentlichkeit reden?
Sehen Sie, antwortet Aftab-Khanum zufrieden, diese Dinge sollten verboten werden.
Eskandar-Agha betrachtet den Ausschnitt nachdenklich. Eigentlich ist es doch gar nicht so schlecht, wenn ein Mann, der – der, na ja, gewisse Probleme hat, eine Medizin nehmen kann, um einen Sohn zu zeugen, das ist schließlich gottgefällig.
Sie haben Ihren Verstand verloren, schreit Aftab-Khanum und erschrickt vor ihrem eigenen Tonfall. Dass die Farangi unser Petroleum stehlen, ist schon schlimm genug, aber sie sollten uns wenigstens unsere Würde, unsere Gewohnheiten und unseren Glauben lassen.
Ich bin derselben Meinung wie Sie, sagt Eskandar-Agha. Aber es bringt doch nichts, wenn Sie sich auch noch unnötig aufregen.
Sehen Sie hier, sagt Aftab-Khanum und reißt ihrem Mann sein Notizbuch aus der Hand. Wo ist es?, fragt sie und blättert wütend in den Seiten. Da, bitte: Und wir lassen es geschehen. Wissen Sie noch? Ihr alter Meister hat gesagt, die Farangi und Besatzer können im Iran nur deshalb Fuß fassen -
Khanum, bitte verschonen Sie mich -
Nicht nur ich, wir alle sollten uns aufregen und kämpfen, damit wir unser Land, aber auch unsere Würde wieder zurückbekommen, sagt Aftab-Khanum, richtet sich auf wie ein Soldat und erinnert Eskandar-Agha mit ihrem gestreckten und geraden Rücken an den alten Verwalter im Hause des Tigers.
Khanum, mit Verlaub, wenn Sie die Farangi und ihre Lebensart so sehr hassen, wieso kommen Sie dann überhaupt noch in den Laden, schließlich verkaufen wir nichts anderes als die
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