Eskandar: Roman (German Edition)
Sachen der Farangi.
Von irgendetwas müssen wir ja leben. Ansonsten, beim Grab des heiligen Emam, hätte ich dieses ganze Farangi-Zeug längst auf die Straße geworfen und verbrannt. Wie damals bei der Tabakrevolte, als die Männer ihre Wasserpfeifen zerschlagen und den Tabak verbrannt haben, sagt Aftab-Khanum.
Es tut mir in der Seele weh, mit ansehen zu müssen, wie Sie leiden, sagt Eskandar-Agha.
Mir tut es auch weh, sagt Aftab-Khanum und weint beinah. Taxifahrer und Droschkenführer, Badehausbesitzer und Besitzer von Restaurants sind angehalten, Frauen wie mich, die sich weigern, ihren Schleier abzulegen, nicht mehr zu bedienen und sofort zu melden. Und die Polizei und die Agenten der Farangi haben ihre Augen überall, sagt Aftab-Khanum.
Bitte, beruhigen Sie sich, bittet Eskandar-Agha und will seine Frau umarmen, aber sie rückt ab von ihm.
Sie können mir glauben. Genauso wie ich hatten viele Frauen sich längst auf den Weg gemacht, das Leben außerhalb der vier Wände ihrer Zimmer und Höfe zu entdecken. Die eine wollte sogar an der Universität studieren, aber man hat es ihr verboten, weil sie den Schleier nicht ablegen wollte. Die andere wollte es mir nachmachen und im Basar einen kleinen Laden eröffnen, aber sie ist eine Witwe und kann ohne Schleier nicht in den Basar. Sie wissen selber, dass die Frauen belästigt und sogar angefasst werden. Meine Schwestern und ich sind in gewisser Weise Vorreiterinnen für die Moderne gewesen, sagt Aftab-Khanum unter Tränen.
Und nun haben Sie sich zusammengeschlossen und drehen mit vereinter Kraft das Rad der Zeit wieder zurück, sagt Eskandar-Agha. Und es gefällt mir auch nicht, dass Sie sich von diesen ungebildeten, selbsternannten Vertretern Gottes ausnutzen lassen.
Ausnutzen lassen? Die Stimme von Aftab-Khanum überschlägt sich und ist schrill.
Ja, ausnutzen lassen. Denn diese Mullah wollen nur den Einfluss und die Macht zurück, die sie seit zwei Jahrzehnten, seit Resa-Khan König ist, Stück für Stück eingebüßt haben. Sie wollen das Parlament und die Gesetze wieder abschaffen. Sie wollen, dass unser Land wieder ins Mittelalter zurückgeht, damit es kein Gesetz außer dem Koran und der Religion gibt und sie selber beides nach eigenem Gutdünken deuten und auslegen und wieder über das Schicksal der Menschen entscheiden können.
Die verehrten Mullah und Akhund sind die Einzigen, die die Verbrechen des Königs erkennen, verteidigt Aftab-Khanum die Geistlichen. Sie durchschauen die Machenschaften und den Betrug des Königs an uns und unserem Land.
Wenn Sie und Ihre Gebetsschwestern auf der Straße andere Frauen attackieren, weil die sich ohne Schleier zeigen, sagt Eskandar-Agha, machen Sie sich nicht nur zum Werkzeug der Mullah. Viel schlimmer ist, Sie spielen auch noch ausgerechnet den Engelissi und Russi, die Sie so sehr hassen und verachten, in die Hände.
Was ist das nun wieder für eine List?, herrscht Aftab-Khanum ihren Mann an.
Das ist keine List, sondern die Wahrheit. Es ist doch ganz einfach. Unser Land hat riesige Mengen Petroleum, und es ist das Tor zur neuen Welt, erklärt Eskandar-Agha. Die Engelissi und Russi wollen den Iran und diesen Teil der Welt nicht verlieren. Aber der König will sie hinauswerfen und selber die Angelegenheiten des Iran in die Hand nehmen. Wer also den König Resa-Khan loswerden will, muss wissen, dass er damit seinen Feinden, also den Engelissi und Russi, in die Hände spielt.
Warum tun sie das?, fragt Aftab-Khanum. Warum wollen die Engelissi und Russi den König loswerden?
Weil er sie aus dem Iran werfen will. Weil er die Almani in den Iran holen will und die Almani sind in diesem großen Krieg, der tobt, der Feind der Alliierten. Ohne den Iran werden die Alliierten den Krieg gegen Deutschland verlieren, erklärt Eskandar-Agha geduldig.
Die Engelissi, Russi und Amrikai brauchen den Iran, um gegen die Almani zu gewinnen?, fragt Aftab-Khanum ungläubig.
Sie haben doch mit eigenen Augen gesehen, wie die Amrikai und Engelissi ihre Waffen und ihr Kriegsgerät, ihre Flugzeuge und Spione mit Schiffen an den Persischen Golf bringen, den Stern der Sowjetunion auf ihre Fahrzeuge und Kampfflugzeuge malen und alles auf die Eisenbahn laden und über tausend Kilometer quer durch den Iran zu den russischen Kriegsverbündeten in den Norden bringen.
Das stimmt, sagt Aftab-Khanum. Aber warum ist das so wichtig? Sehen Sie hier, sagt Eskandar-Agha, blättert in seinen Notizen und zeigt nun Aftab-Khanum einen Artikel aus der
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