Eskandar: Roman (German Edition)
Kriegsparteien. Das ist das eigentliche Übel, das eigentliche Verbrechen, schreibt Eskandar-Agha.
Wir leben in einer verrückten Zeit. Iranische, britische, russische, türkische, amerikanische und deutsche Agenten und Spitzel machen in unserem Land Jagd aufeinander. Niemand traut dem anderen, niemand sagt, was er wirklich denkt. Sogar zwischen meiner Aftab-Khanum und mir herrscht eine seltsame Vorsicht und Unehrlichkeit. Ich habe Kriege und Hunger überlebt, und nun verstelle ich mich vor meiner eigenen Ehefrau. Wenn sie neben mir sitzt, bin ich seit Neuestem sogar vorsichtig mit meinen Notizen, schreibt Eskandar-Agha und klappt wie aus einem Reflex heraus seinen Block zu.
Aftab-Khanum sieht nicht einmal von ihrer Näharbeit auf, lächelt nur wissend und sagt, früher haben Sie mir Ihre Notizen vorgelesen.
Ich habe notiert, dass alles so gekommen ist, wie ich es vorhergesehen habe, sagt Eskandar-Agha.
Lesen Sie.
Aber das führt doch nur dazu, dass wir uns wieder streiten.
Es wird zu einem Streit kommen, wenn Sie mir nicht vorlesen.
Eskandar-Agha zwingt sich zu einem Lächeln und liest.
Alman, der Erzfeind der Alliierten, ist der größte und wichtigste Handelspartner des Iran geworden. Das ist gut, aber es ist auch gefährlich, denn die Alliierten fürchten, König Resa-Khan könnte mit Hilfe der Deutschen ihrer Besatzung und damit den lukrativen Gewinnen ein Ende bereiten. Sie haben von Resa-Khan gefordert, alle deutschen Bürger des Landes zu verweisen. Er hat sich geweigert. Daraufhin haben die Alliierten gezeigt, wer die wirklichen Herren im Land sind. Eigenhändig haben sie die Botschaft und alle anderen Einrichtungen der Almani geschlossen, alle Bürger Almans verhaftet und interniert und dann des Landes verwiesen.
Und dann haben die Botschafter der Russi und Engelissi eines Nachts den Außenminister aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass die Truppen der Engelissi und Russi jeweils vom Norden, Westen und Süden die Grenzen zum Iran überschritten haben, liest Eskandar-Agha, zögert, will seinen Block schließen, liest dann aber doch weiter.
Meine Aftab-Khanum und ihre Mullah-Freunde haben gesiegt. Zusammen mit den Alliierten haben sie erreicht, was sie angestrebt haben. Die Alliierten verlangen, König Resa-Khan soll seine Krone niederlegen und das Land verlassen. Ich bete zu Gott, meine Aftab-Khanum möge sich nun besinnen, und sie und ich werden uns versöhnen und unser eigenes kleines Leben in Frieden leben.
Unser kleines Leben in Frieden leben, murmelt Aftab-Khanum, ohne von ihrer Näharbeit aufzusehen.
Ich muss in den Laden zurück, sagt Eskandar-Agha. Werden Sie mich begleiten?
Nein, antwortet sie, sieht ihn immerhin kurz an und sagt, ich habe Rückenschmerzen.
Dann also bis heute Abend, verabschiedet er sich.
Bis heute Abend, sagt sie.
Doch statt in den Laden zu gehen, geht Eskandar-Agha ins Teehaus. Im Laden ist ohnehin nichts los, sagt er zum Zahnarzt, der ebenfalls dort sitzt und zusammen mit den anderen Männern, deren Geschäfte ebenfalls nicht laufen, Rundfunk hört und sich über den Krieg und den König und das Naft und die Besatzung unterhält.
Nur zwanzig Tage nach der dreisten Aufforderung, seinen Thron zu verlassen, erreichen die Engelissi tatsächlich, dass der Monarch sich ihrem Diktat beugt und seine Krone niederlegt.
Sie zwingen das iranische Parlament, eine Dringlichkeitssitzung abzuhalten, das Ende der Herrschaft König Resa-Khans zu beschließen, und sie schicken den alten König in ihre Kolonie nach Johannesburg. Nachfolger des Königs wird sein einundzwanzig Jahre junger Sohn, Mohammad-Resa.
Geschichte wiederholt sich, sagt Eskandar-Agha im Teehaus. Da mals haben sie den König der Qajaren abgesetzt und seinen zwölf Jahre jungen Sohn zu seinem Nachfolger gemacht. Heute setzen sie Resa-Khan ab und machen seinen einundzwanzig Jahre alten Sohn zum König.
Jetzt haben die Engelissi ein noch leichteres Spiel, sagt der Zahnarzt. Mohammad-Resa ist nicht nur jung, er hat auch noch einen schwachen Charakter.
Ohne die Hilfe der Farangi wäre er niemals an die Macht gekom men, sagt der Teehausbesitzer. Jemand, der so lange im Ausland gelebt hat, kann doch nicht sein Land führen. Der hat doch keine Ahnung, was die Interessen seines Volkes sind, und gegen die Farangi wird er sich auch nicht durchsetzen können.
Eskandar-Agha sagt, am allerwenigsten kennt er die Bedürfnisse der Landbevölkerung, und die machen schließlich die Mehrheit unseres Volkes aus. Wahrscheinlich
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