Eskandar: Roman (German Edition)
Mesterr-Richard, von dem ich Ihnen oft erzählt habe, mich nicht auf derart niederträchtige Weise im Stich gelassen hätte.
Seien Sie nicht ungerecht, er hat Sie in die Stadt und zum Mullah in den Unterricht geschickt, er hat Ihr Essen und Ihre Unterkunft bezahlt, und nach allem, was ich von Ihnen weiß, haben Sie ihm zu verdanken, dass Sie überhaupt noch am Leben sind.
Eskandar-Agha überlegt, ob er nicht endlich seiner Aftab-Khanum von Roxana und dem wahren Grund, warum der Kanadier ihm eine Weile unter die Arme gegriffen hat, erzählen sollte. Aber dann würde sie ihn fragen, was aus Roxana geworden ist, und er müsste ihr von Mahrokh-Khanum berichten. Inzwischen weiß Eskandar-Agha selbst nicht mehr, warum er seiner Frau die ganze Geschichte nicht längst erzählt hat. Aber würde er jetzt nach so langer Zeit darüber sprechen, würde er nur ihren Argwohn wecken. Und das alles wegen einer Angelegenheit, die auch für ihn ihre Bedeutung verloren hat. Sie verstehen nicht, sagt Eskandar-Agha, ohne zu wissen, was er als Nächstes sagen soll.
Was verstehe ich nicht?
Ach, nichts, antwortet Eskandar-Agha traurig.
Es tut mir leid, sagt Aftab-Khanum, dass Sie als Kind ein schwieriges Leben hatten, Ihre Eltern und Ihr Heimatdorf so früh verloren haben und Ihr Farangi-Freund sie nicht länger unterstützt hat. Allerdings sind Sie nicht mehr der kleine Junge von damals und für Ihr Leben und Ihr Schicksal nunmehr selbst verantwortlich. Und bei allem Leid, das Sie erdulden mussten, hatten Sie unendlich viel Glück. Es geht Ihnen gut, denn eigentlich ist Ihr Leben in relativ ruhigen Bahnen verlaufen. In diesem Land leben Menschen, die nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überstehen und wovon sie ihre Kinder ernähren sollen. Agha, es ist an der Zeit, die Dinge zu sehen, wie sie sind, und Dankbarkeit zu zeigen.
Khanum, was erlauben Sie sich? Niemand hat mir etwas geschenkt. Alles, was ich besitze, habe ich aus eigener Kraft erreicht.
Sie sind ein erwachsener Mann von vierzig Jahren, der sein bisheriges Leben gut gemeistert hat, aber niemand baut aus eigener Kraft allein sein Leben auf, widerspricht Aftab-Khanum. Sie sind, was Sie sind, weil Sie Teil eines großen Ganzen sind. Sie haben diesem Land und seinen Menschen, dieser Erde und dem Himmel viel zu verdanken. Aber ich will mich nicht mit Ihnen streiten. Ich habe gesagt, was ich zu sagen habe. Es steht mir nicht zu, Ihnen Vorschriften zu machen. Ich weiß nur, jeder von uns trägt die Verantwortung für sein eigenes Schicksal und das dieses Landes, und ich werde zu dieser Verantwortung stehen.
Khanum, Sie enttäuschen mich. Noch nie hat ein Mensch derart kränkend zu mir gesprochen. Sie werden verstehen, wenn ich mich zurückziehe, sagt Eskandar-Agha und geht hinaus in den Hof. Er ist froh, dass kein Nachbar dort ist, zündet eine Laterne an, setzt sich an das kleine Wasserbecken in der Hofmitte, sieht den Goldfischen darin eine Weile zu und schreibt, meine Sonne und ich sind zwei kleinen Booten gleich in einen Sturm geraten und werden nun von den Wellen auf und ab geschleudert.
Mossadegh, Spione und noch mehr Geheimnisse
Am nächsten Morgen begleitet Aftab-Khanum ihren Eskandar-Agha nicht in den Laden, dennoch wird es kein so betrüblicher Tag, wie er befürchtet hatte. Denn es gibt interessante Neuigkeiten, die ein reges Kommen und Gehen und heftige Gespräche im Basar auslösen. Der als unbestechlich geltende Dr. Mohammad Mossadegh hat verkündet: Ich werde mich für die vollständige Souveränität des Iran einsetzen.
Er will, dass alle Farangi, die Engelissi, Russi und Amrikai das Land verlassen und den Iran als das anerkennen, was er laut Verfassung ist: ein unabhängiger Staat.
Erklär uns, bitten die Männer im Basar Eskandar-Agha, weil er noch immer zu den wenigen gehört, die lesen und schreiben können, welche Nachteile hat diese Ankündigung für uns und unsere Geschäfte und den Basar?
Wieso Nachteile? Es hat nur Vorteile für uns, erklärt Eskandar-Agha. Die alten Verträge, die Mozzaffar od-Din Schah auf sechzig Jahre mit den Engelissi abgeschlossen hat, sind absurd, ungerecht und nicht legitim, erklärt Eskandar-Agha die Worte des Abgeordneten. Er sieht in die Runde und genießt es, dass alle Blicke auf ihn gerichtet sind und alle ihm aufmerksam zuhören. Doch dann entdeckt er den Anwalt, der in der hinteren Ecke sitzt. Schnell sagt Eskandar-Agha, ich bin nur ein einfacher Basari. Lassen Sie uns den verehrten Anwalt fragen,
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