Eskandar: Roman (German Edition)
seine Frau jetzt nun wieder ausheckt, fragt sie, Sie haben mir doch neulich von diesen Schulen erzählt, die, in denen erwachsene Männer und Jungen und sogar Frauen lesen und schreiben lernen können.
Khanum, ich selber habe Ihnen alles beigebracht, was Sie wissen müssen. Sie können mir glauben, in diesen Abendschulen werden Sie nichts Neues erfahren, was Sie nicht schon längst wissen.
Um mich geht es nicht.
Großer Gott, Sie machen mir Angst. Sie wollen doch nicht etwa wieder irgendetwas Neues mit ihren religiösen Schwestern und diesen unausstehlichen Mullah und Akhund beginnen.
Sie selbst sind vor etwas über dreißig Jahren Zeuge gewesen, wie das erste Naft aus der Erde unserer Heimat gesprudelt ist, sagt Aftab-Khanum. Sie weiß, wie sehr ihr Mann es liebt, dafür bewundert zu werden.
Seither und dank des Petroleums hat es große Veränderungen in der Welt und auch in unserer Heimat gegeben. Sie selbst sagen, in den achthundert und mehr Jahren bis zu diesem denkwürdigen Tag hat es in diesem Teil der Welt so gut wie keinen Fortschritt gegeben. Überall in der Welt hat es technische und gesellschaftliche Entwicklungen gegeben. Hier aber leben die meisten Menschen noch immer wie vor Hunderten von Jahren. Wie Sie selbst geschrieben haben: Dieses Naft ist ein Segen und ein Fluch zugleich. Es hat vielen Menschen und vor allem den Farangi großen Reichtum beschert. Doch die Menschen in unserem Land sind noch immer ungebildet und arm, sie sterben vor Hunger, und ihre Kinder werden von Krankheiten dahingerafft.
Khanum, wir sitzen nicht im Parlament, also verschonen Sie mich, und kommen Sie zur Sache.
Nun, sagt Aftab-Khanum, nehmen Sie sich selbst als Beispiel. Statt zuerst Geschichtenerzähler, dann Schreiber und schließlich Verkäufer von Gebrauchtwaren der Farangi zu werden, hätten sie Übersetzer der Petroleumsucher werden können. Oder Sie hätten sich das Wissen und die Fähigkeit aneignen und selbst Naft-Sucher oder sogar Ingenieur werden können. Dann wäre es Ihnen möglich gewesen, bei den großen und wichtigen Entscheidungen mitzureden und die Entwicklung unserer Heimat mitzubestimmen.
Khanum, was reden Sie da? Ich kann von Glück sagen, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Und was sind das überhaupt für Anschuldigungen? Ich habe Sie vor fünfzehn Jahren zur Frau genommen, das heißt, eigentlich ist es ja andersherum gewesen, Sie haben sich entschieden, mich zum Ehemann zu nehmen. Und jetzt, nach all dieser Zeit, haben Sie mit einem Mal das Gefühl, ich hätte nicht das Richtige getan und sollte einen anderen Beruf haben?
Das Einzige, was ich will, ist, mich für mein Land und seine Leute einzusetzen, damit die Farangi uns nicht bis zum Tag des Jüngsten Gerichts ausbeuten können, sagt Aftab-Khanum und sieht ihren Eskandar-Agha entschieden an. Wir brauchen ehrliche Menschen aus dem Volk, die gebildet sind und deren Herz für ihre Heimat schlägt.
Was geht uns das Volk an?, fragt Eskandar-Agha und ärgert sich über sich selbst, weil er weiß, dass seine Frau recht hat.
Aha, sagt sie triumphierend. Wer ist denn Ihrer Meinung nach das Volk? Sie und ich sind Teil dieses Volkes. Und genauso wie alle anderen in diesem Land haben auch Sie und ich eine Verantwortung. Und ich finde, es ist höchste Zeit, diese wahrzunehmen. Aftab-Khanum sieht ihren Mann mit festem Blick an und sagt, ich möchte, dass Sie sich mir nicht in den Weg stellen.
Ihnen in den Weg stellen? In den Weg wohin?
Ich möchte die Prüfung ablegen.
Welche Prüfung?
Ich möchte die Prüfung ablegen, die mich befähigt, Lehrerin an der Abendschule zu werden. Lehrer ist ein ehrbarer Beruf, sagt sie, und bevor Eskandar-Agha richtig begreift, wovon sie spricht, sagt sie, und ich finde, Sie sollten das Gleiche tun.
Was sollte ich auch tun?
Statt alte Sachen der Farangi zu verkaufen, sollten sie ebenfalls Lehrer werden und Ihrem Leben einen Sinn geben. Der Unterricht findet am Abend statt, sodass wir fürs Erste nicht einmal den Laden schließen müssen. Was halten Sie davon?, fragt sie mit einem fröhlichen Lächeln, als hätte sie ihren Mann gefragt, ob er noch ein Gläschen Tee möchte. Überlegen Sie, wäre damals, als Sie ein kleiner Junge waren, jemand da gewesen, der Sie an die Hand genommen, Sie unterstützt hätte, wären Sie heute vielleicht wirklich Ingenieur, Anwalt oder sogar Abgeordneter im Madjless, vielleicht auch Richter oder Berater des Königs.
Das hätte ich wirklich werden können, wenn der verehrte
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