Eskandar: Roman (German Edition)
offenstehen. Wir werden die Landwirtschaft modernisieren, eine richtige Bodenreform durchführen, und die Reichen in unserem Land müssen endlich begreifen, dass unser Boden nicht wenigen Mächtigen gehören kann, sondern dem ganzen Volk gehören muss.
Jedem?, fragt Hossein. Auch einem einfachen Jungen wie mir?
Erst recht einem wie dir, ruft Aftab-Khanum und merkt, wie sehr sie den Nachbarjungen ins Herz geschlossen hat.
Wir brauchen Fabriken und Betriebe, damit wir alles, was wir brauchen, selber herstellen; damit die Menschen in unserem Land Medikamente kaufen und zu Ärzten gehen können; damit jeder sauberes Trinkwasser hat, sagt Eskandar-Agha und gerät so sehr in Hochstimmung, dass er aufspringt und ruft, damit wir Straßen, Fabriken, Krankenhäuser, Schulen, Universitäten haben, damit junge Männer wie du eine Zukunft haben.
Und dafür brauchen wir das Geld aus den Geschäften mit unserem Petrolium, sagt der Nachbarjunge, springt ebenfalls auf und streckt die Faust empor und bekommt dafür von seinem Vater einen tadelnden Blick und von Aftab-Khanum ein weiteres Lob. Ich wäre stolz und glücklich, wenn ich einen Sohn wie dich hätte, sagt sie, lächelt und schluckt, damit sie vor Glück nicht weinen muss.
Verehrte Khanum, fragt Hosseins Vater, wann werden Sie meinem Jungen beibringen, den Namen seines Vaters zu schreiben?
Alles hat seine eigene Ordnung, antwortet Aftab-Khanum, auch das Schreibenlernen.
Eskandar-Agha begegnet Mahrokh-Khanum
Meine Herren, wir können stolz auf uns sein, verkündet der Sekre tär, als er sich den dicken Packen vielfach sauber abgeschriebener Dokumente und Verträge ansieht.
Eskandar-Agha, der Lehrer und der Student, der sein Studium längst abgeschlossen hat, aber aus Gewohnheit noch immer Student genannt wird, lächeln dankbar über das Lob des Sekretärs und hoffen insgeheim auf eine kleine Belohnung.
Der Sekretär wiegt den Packen Papier in den Händen, als wäre es eine große Melone oder ein großes Stück Fleisch. Dies ist die Waffe, mit der wir die Engelissi endgültig schlagen und besiegen werden, sagt er und hebt den Packen wie eine Trophäe über den Kopf. Das schwöre ich, so wahr ich hier vor Ihnen stehe, ruft er und wartet auf eine Reaktion seines dreiköpfigen Publikums.
Als Ältestem, aber auch weil er als Einziger verprügelt worden ist und damit eine Art Märtyrerstatus genießt, steht es Eskandar-Agha zu, im Namen seiner Kollegen zu sprechen. Verehrter Agha, sagt er, wir freuen uns, wenn wir Ihnen und unserer Heimat einen Dienst erweisen konnten.
Der Sekretär strahlt übers ganze Gesicht. Seit über vierzig Jahren benehmen die Engelissi sich bei uns, als wäre es das Haus ihrer Tante. Und nun werde ich rasch diese wertvollen Dokumente zum Büro des verehrten Premierministers bringen, sagt er und blickt in die kleine Runde.
Allerdings ist er keine fünf Minuten fort, da kommt er mit gesenktem Haupt wieder ins Schreibzimmer zurück und erzählt erst nach langem Fragen und Bitten den Grund für seine Niedergeschlagenheit. Ich bin nicht einmal zum Sekretär des verehrten Mossadegh vorgelassen worden, klagt er. Stattdessen musste ich mir die Frage anhören, warum noch niemand die Dokumente nach Abadan gebracht hat. Und nun habe ich selber den Auftrag erhalten, es zu tun. Wie ein Bote soll ich diese Dokumente zum Sitz der AIOC nach Abadan bringen und dort irgendeinem Sekretär der Briten übergeben.
Aber das ist doch wunderbar, ruft Eskandar-Agha und legt dem unglücklichen Sekretär väterlich den Arm um die Schulter. Man hat so viel Vertrauen zu Ihnen, dass man Ihnen die große Verantwortung überträgt, dem Sekretär der Engelissi zu erläutern, worin die Forderungen unseres verehrten Premiers und seiner Regierung bestehen.
Dem Sekretär der Engelissi?, fragt der Lehrer grinsend, als er mit Eskandar-Agha und dem Studenten wieder allein ist.
Eskandar-Agha, der Lehrer und der Student lachen noch und machen sich über ihren Vorgesetzten lustig, da reißt er die Tür erneut auf, streckt den Kopf herein, sieht Eskandar-Agha an und verkündet, und Sie, mein verehrter Freund, werden mich auf dieser bedeutenden Mission begleiten.
Kaum hat er die Tür hinter sich geschlossen, prusten der Lehrer und der Student wieder los. Dieses Mal lachen sie nicht über den Sekretär, sondern über den armen Eskandar-Agha, der seine, vielleicht nicht wirklich nett gemeinte Nettigkeit nun damit bezahlt, dass er über tausend Kilometer fahren muss, nur damit der
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