Eskandar: Roman (German Edition)
Schulter des Jungen, der die Wärme genießt und sich an Frau-Aftab anschmiegt.
Ich habe mir so viele schlimme Dinge ausgemalt. Aftab-Khanum zittert vor Aufregung. In der ganzen Stadt gibt es Unruhen, und Menschen verschwinden. Ich dachte, man hat Sie wieder verprügelt oder verhaftet, und ich muss Sie aus dem Gefängnis oder, noch schlimmer, Ihre Leiche aus irgendeinem Polizeirevier holen.
Alles das haben Sie sich in der kurzen Zeit ausgemalt, sagt Eskandar-Agha und versucht, das Ganze nicht so ernst werden zu lassen.
Bitte, Agha, da gibt es nichts zu scherzen. Menschen wie Sie und ich werden verfolgt, verhaftet und getötet.
Sie haben recht, gibt Eskandar-Agha zu. Genau das ist ja auch mit ein Grund, warum wir im Büro so viel zu schreiben haben. Da können wir nicht einfach nach Hause gehen, wann es uns passt, nur weil unsere Frauen sich um uns sorgen. Das Brot konnte ich auch nicht mehr kaufen, der Bäcker hat seinen Ofen längst ausgemacht.
Wir haben noch Brot vom Abend übrig, sagt Hossein der Nachbarjunge.
Ich bin gar nicht hungrig, sagt Eskandar-Agha. Der Sekretär und der Lehrer und der Student aus der Schreibstube haben aus dem Tshelokababi Essen kommen lassen. Es wäre unhöflich gewesen, ihr freundliches Angebot nicht anzunehmen.
Hat wenigstens Ihr Chef das Essen bezahlt?, fragt Aftab-Khanum. Doch noch bevor er ihr antworten kann, fragt sie, haben Sie heute Morgen mitbekommen, dass einer der beiden Männer Ihnen gefolgt ist?
Natürlich habe ich das mitbekommen. Er ist mir dicht auf den Fersen gewesen, und vor Ihnen muss ich es ja nicht verbergen, ich hatte wirklich Angst.
Wer, in Gottes Namen, sind diese Unmenschen?, flüstert Aftab-Khanum in einem Ton, dass es den Nachbarjungen und Eskandar-Agha schaudert.
Agenten der Regierung, flüstert Eskandar-Agha. Khanum, das ist längst noch nicht alles. Stellen Sie sich vor, flüstert Eskandar-Agha weiter und genießt es, dass Aftab-Khanum und der Nachbarjunge ihm aufmerksam zuhören; die Leute sagen, manche Agenten werden direkt von den Engelissi bezahlt, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie wollen damit klarmachen, wie wenig Macht der Schah und seine Polizei nur noch haben und wie wenig die Regierung in der Lage ist, für Ordnung im Land zu sorgen.
Das verstehe ich nicht, rutscht es dem Nachbarjungen heraus, und sofort zieht er den Kopf ein.
Eskandar-Agha und Aftab-Khanum sehen ihn verwundert an. Genau, sagt Aftab-Khanum. Das ist eine gute Frage, wozu soll das gut sein?
Zählen Sie eins und eins zusammen, sagt Eskandar-Agha. Natürlich wollen die Engelissi damit erreichen, dass wir, das Volk, einsehen, wie dringend wir sie brauchen und wie wichtig es ist, dass sie im Iran bleiben, damit unser Land und unser Leben nicht im Chaos versinken.
Das ist schamlos und gegen jede Moral, schimpft Aftab-Khanum.
Sie stacheln religiös verblendete Fanatiker an, damit sie Minderheiten angreifen. Juden, Bahai; sogar Anhänger der altpersischen Religion, die Zoroastrier, kommen jeden Tag zum Premier und bitten um Hilfe, weil ihre Häuser und Büros geplündert und in Brand gesteckt worden sind.
Und die Kerle, die Sie verfolgt haben? Sie können jederzeit wieder aufkreuzen. Mein Liebster, Sie sind in Gefahr. Aftab-Khanum hakt sich noch fester bei ihrem Mann unter. Wir müssen vorsichtig sein, flüstert sie. Vielleicht ist es wirklich das Beste, wenn Sie in den nächsten Tagen zu Hause bleiben und sich krank melden. Wir sollten verreisen, die Stadt verlassen. Lassen Sie uns nach Ramssar fahren, der freundliche Amir-Agha hat gesagt, er wird Sie jederzeit in seinem Hotel einstellen. Aftab-Khanum drückt die Schulter des Nachbarjungen. Und du schweigst wie ein Grab. Hörst du?
Khanum, wie Sie wünschen. Aber werden Sie verreisen, bevor Sie mir beibringen, meinen Namen zu schreiben, oder danach?
Wir werden gar nicht verreisen, erklärt Eskandar-Agha mit fester Stimme. Sie selbst halten Predigten über die Verantwortung, die jeder Einzelne von uns für dieses Land trägt. Jetzt ist es an der Zeit zu beweisen, dass wir es ernst meinen damit.
Ich will auch Mut beweisen und Verantwortung für mein Land übernehmen, sagt der Nachbarjunge und strahlt glücklich.
Der Junge ist derart beeindruckt von Eskandar-Agha und Aftab-Khanum und bewundert sie so sehr, dass er keine Gelegenheit mehr auslässt, in ihrer Nähe zu sein. Aftab-Khanum und er werden richtige Freunde, und das nicht nur, weil sie ihm noch am selben Abend beibringt, seinen Namen zu
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