Eskandar: Roman (German Edition)
bewegen, durch staubige Schotterstraßen zu gehen, in kleinen, engen Läden und Buden nach Preisen von Waren zu fragen oder mit fremden Menschen zu sprechen. Doch während Alexander sich an den Arm von Eskandar-Agha klammert, geht Nimtadj mit ihrer Fotokamera um den Hals und selbstbewusst erhobenem Haupt den anderen zwei, drei Schritte voraus. Sie lächelt den Leuten freundlich zu, bleibt stehen, prüft Waren und erkundigt sich sogar nach Preisen.
Als sie an einer Frau vorüberkommen, die in einer schmutzigen Pfütze am Rand der Straße nicht nur ihre Kleider und ihren Topf wäscht, sondern auch ihr Kind, fragt Nimtadj, Khanum, was tun Sie da?
Die Frau hebt ihr müdes Gesicht und lächelt, und Nimtadj macht es, wie sie es Eskandar-Agha abgeguckt hat, und drückt unbemerkt auf den Auslöser ihrer Kamera.
Ja, weißt du denn das nicht, sagt die Frau, es ist Now-Rouz, da muss alles sauber sein, und jeder sollte saubere Kleidung tragen.
Aber warum waschen Sie Ihre Sachen nicht in Ihrem Haus?, fragt Nimtadj.
Weil sie kein Zuhause hat, sagt Eskandar-Agha leise und zieht die Kinder weiter.
Sie hat kein Zuhause?, fragt Nimtadj entsetzt. Aber jeder Mensch muss doch irgendwo schlafen.
Manche Menschen haben eben kein Zuhause, sagt Eskandar-Agha. Dann müssen wir die Frau und ihr Kind zu uns mit nach Hause nehmen, sagt sie. Wir haben so viel Platz.
Komm schon, drängelt Alexander. Wir wollen die Fische kaufen und wieder heimgehen.
Fische?, fragt Nimtadj schrill und mit Tränen in den Augen. Wie kannst du nur an Fische denken? Ich will keine Fische. Ich will, dass die Frau alles Geld bekommt, das wir mithaben.
Alexander kann nicht verstehen, dass seine Schwester so dumm ist, das Geld für die Fische einfach zu verschenken, aber bevor überhaupt ein Streit ausbrechen kann, reicht Nimtadj zufrieden und auch ein bisschen stolz auf sich selbst der Frau am Straßenrand alles Geld.
Hinterher erklärt sie ihrer verblüfften Mutter, sie wird statt der Fische das Bild, das sie von der armen Frau gemacht hat, auf den Gabentisch stellen.
Obwohl das Haupthaus über mehr als ein Badezimmer verfügt und die Kinderfrau Nimtadj und Alexander mindestens jeden zweiten Tag wäscht, nimmt Eskandar-Agha alle drei zum Now-Rouz-Fest mit ins öffentliche Bad und lässt sie von den Dallack von Kopf bis Fuß waschen. Weil es so Tradition ist, erklärt er der verdutzten Mademoiselle.
Alle Kinder und Erwachsenen im Haus von Roxana-Khanum, auch die Bediensteten, tragen neue Kleider und neue Schuhe zum Fest. Das Haus ist vom Dach bis zum Erdgeschoss geputzt, alle Pflanzen, Bäume und Büsche sind gestutzt und beschnitten, der Garten ist gefegt und gespritzt. Zu Ehren des neuen Jahres muss alles sauber und glänzend sein, erklärt Eskandar-Agha den Kindern und fegt vorsichtshalber den bereits sauberen Vorplatz zum Gärtnerhäuschen noch einmal.
Nur die arme Frau ist nicht sauber, sagt Nimtadj und freut sich, weil Eskandar-Agha ihr Foto sofort entwickelt, vergrößert und sogar einen Rahmen aus Holz dafür gezimmert hat.
Rechtzeitig bevor das neue Jahr eingeläutet wird, kündigt die Dienerin einen Gast an, den verehrten Herrn Studenten.
Sein Hemd strahlt weiß, und er ist beladen mit Kartons voller Kuchen und Keksen und einem mit Wasser gefüllten Behälter, in dem vier kleine Goldfische schwimmen.
Als die Kanone laut krachend den Wechsel zum Jahr 1332 ankündigt, fallen alle sich um den Hals, küssen sich und schütteln Hände. Roxana steht so nah beim Studenten, dass sie seinen Atem auf ihrem Nacken spürt, und ihre Finger berühren scheinbar unabsichtlich seinen Handrücken.
Nachdem Roxana der Tradition entsprechend druckfrische Geldscheine an jeden ihrer Bediensteten und auch an Eskandar-Agha, Sahra und ihre eigenen Kinder verteilt hat, will Eskandar-Agha, wie es sich gehört, mit seiner Sahra zurück in seine Unterkunft. Doch Roxana macht eine große Geste und bittet ihn mit Blicken, sie zum Haus von Mahrokh-Khanum zu begleiten, wo sie ihren ersten Pflichtbesuch absolvieren werden.
Natürlich kennt Eskandar-Agha genauso gut wie Roxana selbst und der Student den Grund, warum er sie begleiten soll. Die Leute würden reden, wenn sie allein mit einem wildfremden Mann unterwegs wäre.
Aber Khanum, das geht nicht, wehrt Eskandar-Agha sich. Ich kann nicht mitkommen, Sie wissen doch – er spricht nicht weiter, weil der Student schließlich ein Fremder ist und es sich nicht gehört, Familiengeheimnisse vor ihm auszuplaudern.
Kommen Sie,
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