Eskandar: Roman (German Edition)
sagt sie mit der für sie typischen heiseren Stimme, ich fürchte, bei dem von Ihnen zuletzt angesprochenen Problem sind mir die Hände gebunden. Sie wendet sich Nimtadj und Sahra zu und fragt, und Sie meine Damen? Was haben Sie auf dem Herzen?
Während Nimtadj ihre gesamte Energie dafür benötigt, nicht vom Stuhl zu fallen, sagt die viel jüngere Sahra selbstbewusst und mit erhobenem Haupt, Eure Hoheit, ich selber bin noch keine zwanzig Jahre alt, und wie Sie in unserem Film sehen konnten, ist mein Vater ein alter Mann, der sein Leben als Leibeigener begonnen hat. Er hat mit eigenen Augen die erste Ölquelle dieses Landes gesehen, er war dabei, als die Väter unserer Nation für die Verfassung und das Madjless kämpften, er hat sein Brot als Fotograf verdient, als Ladenbesitzer, als Büroangestellter, als Gärtner, und er war sein ganzes Leben lang Geschichtenerzähler. Und so konnte ich, seine Tochter, viel von ihm lernen. Unter anderem dieses, die verehrte Kaiserin meines Landes ist eine kluge und in Farang gebildete Frau, die selbst am besten weiß, wie sie die Kunst und Künstler unserer geliebten Heimat fördern kann und welche Probleme und Schwierigkeiten uns daran hindern, unsere Arbeit zu erledigen.
Nimtadj und die anderen Mädchen, sogar der Zeremonienmeister und die Kaiserin selbst halten die Luft an, während Sahra spricht. Als sie ausgesprochen hat und höflich lächelt, herrscht Grabesstille, bis die Kaiserin sich bewegt und einen Schluck von ihrer Limonade nimmt. Sie räuspert sich mehrmals, spricht trotzdem mit heiserer Stimme und sagt, junge Frau, Ihr Vater kann stolz auf Sie sein. Dann erhebt sie sich, gibt jedem der Mädchen die Hand und verlässt die Audienz.
Nur einen Tag später wird ein Attentat auf König Mohammad-Resa-Schah verübt, das er wie alle vorherigen überlebt.
Wieder tauchen unangekündigt Fremde bei Roxana-Khanum auf. Dieses Mal kommen sie gleich mit mehreren Fahrzeugen und zu neunt, und es besteht kein Zweifel, sie gehören dem gefürchteten SAVAK an und verhalten sich genauso, wie Nimtadj und Sahra gesagt hatten. Sie zerren und schubsen die Diener hin und her, durchsuchen das Haus und führen Nimtadj und Sahra ab. Es ist nur ein Verhör, versichert ihr Wortführer.
Eskandar-Aghas Angst könnte größer kaum sein. Trotzdem muss er in diesem Moment an seinen alten Meister-Hodjat denken, der ihm erzählt hatte, wie der Arbab in den Dörfern die Mädchen zu sich aufs Pferd gehoben hat und ihre Väter sich vor ihm in den Staub geworfen haben.
Nun muss ich mich für meine Tochter vor die Füße eines fremden Mannes werfen, denkt Eskandar-Agha. Er weint und wirft sich vor dem Anführer der Geheimdienstler in den Kies, bekommt einen Tritt und einen Hieb mit dem Kolben eines Gewehres auf den Kopf.
Roxana-Khanum versucht den SAVAK-Mann mit Geld zu bestechen, doch das Einzige, was sie erreichen, ist, dass einer der Männer ihnen den Grund für ihren Einsatz nennt: das Attentat auf den Schah. Und er sagt, wir gehen auch dem kleinsten Verdacht nach, durchsuchen in der ganzen Stadt Häuser und verhaften Verdächtige.
Seit ihrem letzten Besuch bei ihrer Ziehmutter, wo es zum Streit und Bruch zwischen den beiden Frauen gekommen ist und Mahrokh-Khanum Roxana aus ihrem Leben verbannt hat, hat Roxana längst jeden Versuch aufgegeben, wieder mit ihr in Verbindung zu treten. Doch wenn in dieser Situation überhaupt jemand helfen kann, dann ist es Mahrokh-Khanum. Und so machen Roxana und Eskandar-Agha sich sofort auf den Weg zu ihrem Haus.
Mahrokh-Khanum ist gebrechlich und krank und hält sich schon seit Monaten im Ausland auf, sagt ein alter Verwalter.
So bleibt ihnen also nichts anderes übrig, als kreuz und quer durch die Stadt zu fahren. Sie klappern Polizeiämter und Krankenhäuser ab, suchen Richter und Anwälte auf, um Nimtadj und Sahra freizubekommen. Erst nach zwei endlos langen Tagen und Nächten, in denen sie tausend Tode sterben, erfahren sie, ihre Töchter befinden sich am schrecklichsten aller Orte im Land: dem Evin-Gefängnis, von dem es heißt, wer erst einmal dort landet, kommt nicht mehr heraus, zumindest nicht mit heiler Haut.
Umso weniger können Eskandar-Agha und Roxana-Khanum es fassen, als die beiden Mädchen am dritten Tag wieder vor der Tür stehen und glaubhaft versichern, sie sind wohlauf, zwar sind sie geschlagen worden, aber nicht gefoltert oder gar vergewaltigt.
Man hat uns gedroht, und wir haben grausame Dinge gesehen und gehört, sagt Sahra kleinlaut, aber
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