Eskandar: Roman (German Edition)
verschanzt.
Die Leute klatschen Beifall, rufen und jubeln, heben Eskandar auf ihre Schultern, tragen ihn um den Platz herum, damit er die Nachricht wieder und wieder verkündet und jeder sie hören kann. Eskandar kommt sich vor wie ein Held, ein König, als wäre er nicht nur der Überbringer der guten Nachricht, sondern der Vollbringer der Tat selbst.
In den nächsten Tagen überschlagen sich die Ereignisse. Eskandar gibt bekannt, der Schah ist zusammen mit den engsten Mitgliedern seiner Familie und Verbündeten in die russische Legation in Zargondeh, außerhalb der Mauern der Stadt, geflohen.
So hört, stolze Krieger und Bewohner der Hauptstadt, ruft Eskandar, der König hat abgedankt. Eskandar grinst auf die Art, wie er es seinem kanadischen Freund abgeguckt hat, und ruft, der König legt die Krone nieder, und ihr habt es vollbracht. Sieg dem Volk, Sieg der Demokratie, Sieg der Freiheit. Und während Eskandar die Arme hochreißt, in der Luft hält und lächelt, skandieren die Männer Sieg, Sieg, Sieg. Freiheit und Selbstbestimmung. Sieg für die Verfassung und das Madjless.
Was bedeutet das alles?, fragt Eskandar den Mullah.
Wie meinst du das?
Madjless, Verfassung, König, Besatzer, was bedeutet das?, fragt Eskandar mit dem gleichen glücklichen Lächeln.
Sei still, Junge, zischt der Mullah. Das werde ich dir später erklären.
Sobald eine neue Nachricht den Platz erreicht, kleidet der Mullah sie in passende Worte, und Eskandar verkündet sie. Der König befindet sich noch immer in der Residenz des Russi-Ministers, ruft er.
Der Lakai flieht zu seinen Meistern und Beschützern, rufen die Männer.
Die Russi haben ihre Fahne gehisst. Doch hört, tapfere Männer des Iran, die Russi haben sich mit ihrem Erzfeind, den Engelissi, verbündet. Über der russischen Residenz weht neben der russischen Flagge jetzt auch die der Engelissi-Farangi.
Die ausländischen Verräter zeigen ihr wahres Gesicht, rufen die Männer.
Und dann darf Eskandar tatsächlich die größte Nachricht ausrufen: Der König hat die Krone niedergelegt.
Wer wird sein Nachfolger werden?, fragen die Männer.
Unsere mutigen Reiter berichten, der Nachfolger des Schah wird sein Sohn werden, ruft Eskandar und hat keine Ahnung, aus welchem Grund das eine gute Nachricht ist und die Männer ihm zujubeln. Der alte Tyrann hat das Feld geräumt, und wir können der Zukunft zuversichtlich entgegensehen.
Manche Männer lachen. Mit seinen mickrigen zwölf Jahren ist der Prinz etwa so alt wie du, rufen sie, und Eskandar lächelt ihnen glücklich zu und stellt sich unter dem Jubel der Männer vor, er selber ist dieser Sohn, der Prinz, der den Thron besteigen wird.
Um zu zeigen, dass sie ihrem neuen König annehmen, zünden die Menschen in der gesamten Stadt an Häusern, Straßen, Kreuzungen und öffentlichen Plätzen Laternen, Fackeln und Feuer an. Eine hell erleuchtete Hauptstadt feiert ihren neuen König. Im Lager machen die Männer die Nacht zum Tag, und Eskandar fällt erschöpft in einen tiefen Schlaf und träumt, wie die Männer ihn als den neuen König feiern und bejubeln.
Alles könnte gut sein, doch ihre Freude und Hoffnung sind nur von kurzer Dauer, und Angst und Schrecken kehren zurück. Denn der Machtwechsel vom Vater zum Sohn bringt keine Verbesserung für das Leben der Menschen.
Die Russen lassen den Norden nicht zur Ruhe kommen, und die Briten halten weiterhin den Süden besetzt. Sie fordern die iranische Regierung sogar auf, die schwer passierbaren Sandpisten zu reparieren und neue Straßen zu bauen. Die Regierung soll Posten aufstellen und die Straße bewachen, damit die Besatzer sich ungehindert und sicher vor Banditen, Wegelagerern und Freiheitskämpfern bewegen können. Weil sie den iranischen Soldaten aber nicht trauen, verlangen sie dreist, von ihren eigenen und den unter ihrem Kommando stehenden indischen Soldaten beschützt zu werden. Der Sold der Soldaten soll jedoch aus der iranischen Staatskasse bezahlt werden.
Als Eskandar diese Nachricht ausruft, geraten die Männer in Rage. Möge Allah jeden einzelnen Besatzer mit dem Tod strafen, brüllen sie. Möge der zwölfte Emam kommen und uns von ihnen befreien.
Angespornt durch den Zuspruch der Leute, bringt Eskandar den Mut auf, etwas zu sagen, was nicht der Mullah ihm aufgetragen, sondern was er im Gespräch zwischen Hodjat und Palang-Khan aufgeschnappt hat. Als wären wir Hunde, ruft Eskandar. Wie Flöhe und Läuse haben die Engelissi und Russi sich in unserem Pelz
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