Eskandar: Roman (German Edition)
herauspulen.
Seine eigentliche Aufgabe ist, den Söhnen des Palang-Khan zu dienen. Für Eskandar ist es selbstverständlich, die Befehle der Jungen auszuführen, ihnen Tag und Nacht zu dienen und sie, obwohl manche von ihnen jünger sind als er, Saheb zu nennen. Er bedient sie unaufgefordert, räumt ihre Sachen weg, trägt die Kleineren auf dem Arm, folgt ihnen, wenn sie in die Wüste laufen oder sich zu nah an die Pferde heranwagen. Er füttert und wäscht sie und manchmal sitzt er an ihrer Seite, bis sie einschlafen.
Sobald er seine Arbeit erledigt hat, nimmt Eskandar auf Anweisung des Khan am Unterricht der Jungen teil, wo er mit dem Mullah sein Koranstudium fortsetzt oder vom französischen Monsieur Französisch, Englisch, Rechnen, Geografie und nutzvolles Wissen lernt. Der Unterricht findet statt, wo immer die Karawane sich gerade befindet, sei es im Zelt, im Schatten einer verfallenen Mauer oder eines Baums oder auch, während sie gehen, reiten oder in der Droschke fahren.
Eine Aufgabe, die Eskandar besonders gerne übernimmt, ist, Öl in die vielen Laternen zu füllen, sie anzuzünden und auf die Zelte und Schlafplätze zu verteilen. Jeden Tag, wenn er den viereckigen Metallkanister öffnet und der Geruch des Naft ihm in die Nase steigt, schließt Eskandar für einen Moment die Augen und stellt sich vor, wie unter dem Druck von Felsen und Steinen kleinste Tierchen in Naft verwandelt werden. Oder er erinnert sich an das Röhren und Zischen der Fontäne schwarzen Erdöls, als es aus der Erde geschossen kam, und ist stolz, dabei gewesen zu sein und in gewisser Weise sogar die Stelle vorausgesagt zu haben, an der es aus dem Boden kommen würde.
Von seiner Roxana bekommt Eskandar nicht viel mit, denn sie ist beinah gänzlich von der jüngsten Frau des Tigers, der schönen Frau-Mahrokh in Beschlag genommen. Eskandar weiß nicht viel über sie, nur dass sie etwa vierzehn Jahre alt und damit nur wenig älter ist als er selber, dass sie keine eigenen Kinder hat, sich die meiste Zeit des Tages langweilt und deshalb glücklich ist, etwas Niedliches zum Spielen zu haben.
Jedes Mal, wenn er sie sieht, hat Mahrokh-Khanum Roxana ein neues, noch schöneres Kleid angezogen; sie füttert die Kleine eigenhändig, nimmt sie nachts mit in ihr Bett und nennt sie meine kleine Prinzessin, mein Püppchen, mein Zuckerstück, mein Engelchen.
Einerseits ist Eskandar froh darüber, dass es seiner Roxana an nichts fehlt, andererseits aber fehlt sie ihm umso mehr. Und als die Karawane Esfahan erreicht und Palang-Khan und seine Reiter sich den Nationalisten anschließen, kommt alles noch schlimmer. Die Frauen, Söhne, Töchter, Eunuchen, Bediensteten und eben auch Roxana reisen weiter nach Teheran. Eskandar aber muss bei Palang-Khan und den Nationalisten bleiben.
Inzwischen ist das Lager so groß, dass Eskandar Anfang und Ende nicht mehr sehen kann. Noch mehr Männer, Angehörige anderer Stämme und Kämpfer aus dem ganzen Land, haben sich ihnen angeschlossen. Jeder Stamm hat seine eigenen Quartiere, seine eigenen Wachen, Mullah, Hakim, Diener, Köche. Aber keiner der anderen Stämme kann von sich behaupten, einen Qessegu, einen Geschichtenerzähler, wie Eskandar einer ist, zu haben.
Von den Männern, die ihn kennen, wird er begrüßt wie ein alter Freund, ein Held, ein wichtiger Mensch. Eskandar schüttelt Hände, lässt sich umarmen und auf Schultern tragen, und als er seinen alten Freund Hodjat entdeckt, macht er es wie nur einmal zuvor bei Mesterr-Richard und wirft sich dem Reiter in die Arme. Hodjat küsst ihn, als wäre ein verlorener Sohn zurückgekehrt. Und als ein paar Tage später der schwere Tross sich in Richtung Hauptstadt aufmacht, kann Hodjat erreichen, dass Eskandar in seinen direkten Dienst gestellt wird.
Wegen der großen Hitze des Sommers kommen die Kämpfer und ihr Gefolge nur langsam voran. Anfang und Ende der riesigen Karawane liegen viele Tage auseinander. In der heiligen Stadt Qom, hundertdrei ßig Kilometer südlich von Teheran, drängen die Nationalisten mit einem Vorauskommando in einem für alle überraschend kurzen Kampf die russischen Truppen zurück und übernehmen die Kontrolle über die Stadt.
Am Abend, während die Männer ihre Pferde und das Vieh versorgen und die Wasserträger die Behälter und Krüge mit frischem Wasser aus den unterirdischen Quellen auffüllen, geht Eskandar von Feuerstelle zu Feuerstelle.
Unser Sieg in Qom ist ein Zeichen Gottes, ruft er. Unsere Männer haben im Handumdrehen
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