Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siba Shakib
Vom Netzwerk:
die sich seit zwei Jahren Bolschewiken nennen. Und es ist auch klar, dass man von Dieben und Banditen überfallen und ausgeraubt wird.
    Die Leute sagen, Eskandar-Agha sollte Gott danken, denn immerhin ist er mit dem Leben davongekommen.
    Geh zum Grab des achten Emam-Resa, raten sie ihm, danke dem Heiligen und bringe ein Opfer, damit er dich auch in Zukunft beschützt.
    Eskandar nimmt sich vor, den Rat der Leute zu befolgen, sobald er Arbeit gefunden hat.
    Die Leute sagen, wer arbeiten will, muss weiter Richtung Westen ans Kaspische Meer. Dort, wo die Handelsschiffe der Farangi ankommen, gibt es Arbeit.
    Eskandar tut, was die Leute ihm raten, verschiebt den Besuch am Grab des Emam auf später und wandert in Richtung Westen. Je näher er dem Kaspischen Meer kommt, desto mehr verändert sich alles, die Landschaft, das Wetter, das Essen, das Aussehen der Menschen, sogar ihre Sprache ist so anders, dass Eskandar das Gefühl hat, in einem fremden Land zu sein.
    Anders als im heißen und trockenen Süden, in Teheran und auch in Mashhad ist es in der Gegend um das Meer feucht und bis in den März hinein so kühl, dass Eskandar fürchtet, kranke Knochen zu bekommen oder gar zu erfrieren. Während es im Süden jahrelang nicht regnet, tut es das hier die Hälfte des Jahres. Der Nebel lässt die Sonne verschwinden, und im Winter wird alles bedeckt von etwas, das Eskandar zum ersten Mal sieht, Schnee. Eine bedrohliche und nutzlose Erfindung Gottes, die es Mensch und Tier tagelang unmöglich macht, auch nur einen Schritt vor die Tür zu setzen. Das Einzige, was Eskandar bedauert, ist, dass er nicht eine Handvoll davon aufheben und mitnehmen kann, um ihn seiner Roxana zu zeigen. Ganze Häuser, Dörfer, Landschaften sind unter der weißen, kalten Last begraben. Im Sommer hingegen sind die Gärten, Felder, Berge und Wege so grün und dicht zugewuchert, dass Eskandar manchmal glaubt, ersticken zu müssen. Er verläuft sich in den bedrohlichen Wäldern, wilde Schweine laufen ihm über den Weg und einmal sogar ein Bär.
    Den Anblick der hellgrünen Reisfelder mag Eskandar dagegen sehr. Wie die Wüste sind sie offen, weit und einladend. Parzellen, die von kniehohen Lehmmauern umgeben sind, steigen terrassenförmig die Hänge empor. Das Wasser steht knietief in ihnen, und wenn die Sonne und der Himmel sich darin spiegeln, sehen die Felder aus wie ein riesiger Fisch mit glänzenden Schuppen, und die Landschaft verwandelt sich in ein funkelndes Juwel.
    So muss es gewesen sein, als die schöne Mahrokh-Khanum ein Tautropfen war, in dem der Mond sich spiegelte, murmelt Eskandar und nährt damit wieder die Sehnsucht nach seiner Herrin. Und er beschließt in Anbetracht dieses wunderbaren Schauspiels der Natur den zweiten Auftrag seiner schönen Mahrokh sofort zu beginnen und ihre Geschichte aufzuschreiben.
    Jeden Tag wünsche ich mir, sie hätte mich nicht allein fortgeschickt, schreibt Eskandar. Das ist nicht gerecht. Sie hätte mich zusammen mit der kleinen Roxana begleiten sollen. Manchmal tue ich, als wären sie bei mir, im Geiste spreche ich sogar mit ihnen.
    Schon nach wenigen Sätzen fühlt Eskandar sich weniger einsam, und er schreibt nicht nur die Geschichte der schönen Mahrokh auf, sondern gewöhnt sich an, alles, was er sieht und erlebt, zu notieren. Ich werde es meiner Roxana und der schönen Mahrokh vorlesen, wenn wir wieder vereint sind, schreibt er. Auf diese Weise wird es sein, als hätten sie mich begleitet.
    Eskandar schreibt über die sumpfigen Gewässer in den weiten Tälern, auf denen Männer mit langen Stöcken Boote durchs Wasser schieben, Netze auswerfen und Fische fangen; Kinder und Frauen reiten auf Pferden durchs flache Wasser, und die Häuser mit ihren Spitzdächern aus Reisig sehen aus wie kleine Inseln, die auf Stelzen stehen. Wenn Frieden einen Duft hätte, schreibt Eskandar, dann wäre es der von Reisfeldern.
    Wie die Landschaft, so ist auch das Aussehen der Menschen im Norden anders. Ihre Haut ist hell wie Milch, manche haben blaue Augen wie die kleine Roxana und goldenes Haar wie Mesterr-Richard, schreibt Eskandar. Würden sie die Kleidung der Farangi tragen, könnte ich manche von ihnen für Engelissi- oder Russi-Farangi halten. Selbst ihre Sprache ist mir fremd, und es kommt vor, dass ich sie nicht verstehe. Trotzdem freunde ich mich rasch mit ihnen an. Sie haben eine ungezwungene und offene Art. In gewisser Weise scheinen sie weniger Angst zu haben als die Menschen im Süden. Sie lachen, tanzen, sind

Weitere Kostenlose Bücher