Eskandar: Roman (German Edition)
vergnügt, sogar ihr Gang wirkt leicht und unbekümmert, und weil die Sonne weniger heiß brennt als im Süden, halten die Menschen sich viel im Freien auf und leben mit der Natur. Ich wünschte, meine geliebte Roxana und meine schöne Mahrokh wären bei mir, schreibt Eskandar.
Darüber, dass die Bäuerinnen kurze, bunte Röcke tragen und bei der Arbeit in den Reisfeldern ihre langen Unterhosen hochkrempeln und man ihre Unterschenkel sehen kann, schreibt Eskandar nichts, und auch nicht, dass er diesen Anblick genießt und viel Zeit damit verbringt, die arbeitenden Frauen zu beobachten.
Was Eskandar am Norden auch gefällt, ist, dass in dem feuchtwarmen Klima Früchte, Gemüse, Kräuter, Knoblauch und vieles andere in Hülle und Fülle wachsen und die Menschen sie zu schmackhaften Speisen verarbeiten. Wenn er Arbeit hat und es sich leisten kann, isst er am liebsten Ssabsi-polo-Mahi, Fisch mit Reis und frischen Kräutern, und dazu eingelegten Knoblauch mit und ohne Kräuter und Joghurt mit Gurken und Minze.
Auf der Suche nach Arbeit ist Eskandar gezwungen, ständig hin und her zu wandern. Er geht zurück in den Nordosten bis zur Grenze Afghanistans, wo es beinah so trocken ist wie im Süden, dann wandert er wieder nach Westen. An der Grenze zu Turkmenistan entlang in Richtung Kaspisches Meer und weiter entlang der Grenze zu Georgien und Armenien und auch der neuen Grenze, die mitten durch die Provinz Aserbaidschan geht, weil die Russen sie sich zur Hälfte einverleibt haben. Dann wandert er weiter bis zur Grenze der Türkei und den ganzen Weg wieder zurück bis zum Kaspischen Meer.
Je länger er unterwegs ist, je mehr unterschiedlichen Menschen er begegnet, je mehr Dialekte er hört, Speisen er isst, Gewohnheiten er lernt, desto mehr stellt Eskandar zu seiner Überraschung fest: Er mag das Reisen. Und zwar vor allem wegen der vielen Geschichten, die er erzählt bekommt. Es werden so viele, dass er sie sich notieren muss, um sie nicht zu vergessen. Manchmal reichen Worte nicht, und er fertigt Skizzen an von den Fabelwesen, den Ungeheuern, den wirklichen und unwirklichen Orten.
Irgendwo, in einem Teehaus unweit vom Meer, beobachtet der Teehausbesitzer Eskandar dabei, wie er schreibt und zeichnet, und er sieht ihm über die Schulter und fragt erstaunt, wer die seltsamen Wesen sind, und Eskandar erzählt und bekommt als Dank eine Mahlzeit und einen Schlafplatz.
Bleib, so lang du willst, sagt der Teehausbesitzer, als er merkt, dass nicht nur er selber, sondern auch seine Gäste Freude an den Geschich ten haben. Sie sitzen um Eskandar herum, hören ihm gebannt zu und trinken und essen in einem fort. Das ist gut für mein Geschäft, sagt der Teehausbesitzer.
Es gefällt Eskandar-Agha, wenn es still wird im Teehaus und die Jungen und Männer sich nicht mehr unterhalten und nur noch zuhören, ihm und seinen Geschichten, und wenn sie sich freuen, erschrecken, begeistert sind, wenn er ihnen seine Zeichnungen zeigt.
Er trägt die Geschichten der Türken zu den Mazendarani, die der Gilani zu den Mashhadi und umgekehrt.
Am liebsten erzählt er die Geschichten, die sein eigenes Leben geschrieben hat. Seine Zeit mit den Nationalisten oder mit den Farangi, oder im Haus von Frau-Rohan oder des Tigers. Besonders gerne erzählt er die Geschichte von dem kleinen Jungen aus dem Dorf ohne Namen, dem Gott eines Tages ein kleines Mädchen schenkt, das er Roxana nennt und mit dem zusammen er beim grausamen König gefangen gehalten wird. Manchmal erzählt er den Leuten aber auch einfach Dinge, von denen er selber bisher nichts gewusst und die er gerade erst erfahren hat; dass die Russi-Farangi sich seit Neuestem Bolschewiken nennen und ihr Land statt Russland jetzt Sowjetunion heißt. Dass sie sagen, ihr Land sei ein Paradies, in dem es alles gibt, jeder satt wird und in Freiheit leben kann. Und dass es den Russi-Farangi am liebsten wäre, wenn die Iraner das neue System, den Kommunismus, übernehmen und die Russi den Iran zu einer weiteren Republik ihres Landes machen könnten.
Eskandar bringt sein Publikum zum Lachen, wenn er sagt, wenn die Russi unser Land offiziell besäßen, hätte das für beide Seiten große Vorteile. Die Russi hätten freien Zugang zur alten Seidenstraße, die von Ostasien nach Europa führt, und sie hätten ungehinderten Zugang zum warmen und eisfreien Persischen Golf und könnten anstelle der Engelissi unser Petroleum abschöpfen. Und dann wartet er, bis seine Zuhörer ungeduldig werden und fragen: Und
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