Eskandar: Roman (German Edition)
welchen Vorteil hätte das für uns?
Für uns Iraner würde es das Ende der Besatzung bedeuten.
Wie das?, erkundigen sich seine Zuhörer.
Nun, antwortet Eskandar-Agha, als Besitzer können die Russi schließlich nicht auch gleichzeitig Besatzer sein, und ihre Soldaten wären keine Feinde mehr, sondern Beschützer.
Die Wirklichkeit allerdings ist weniger zum Lachen. Viele seiner Landsleute wissen tatsächlich nicht mehr, wie sie ihre Kinder vor Krankheiten und dem Hungertod bewahren können, und hoffen, die Propaganda vom Paradies ist wahr. Und das, obwohl die roten Russi die Weißrussen vertreiben und Tausende von ihnen in den nördlichen Provinzen des Iran Schutz suchen und ebenfalls ernährt werden müssen.
In einem Teehaus in Gilan, das nur aus einem Strohdach und ein paar Kelims und Kissen auf dem Boden besteht, trifft Eskandar auf einen Mann mit dem Namen Herr-Bildermacher, Agha-Akkassbashi. Er verfügt über die notwendigen Papiere und kann in die Sowjetunion ein- und ausreisen, wie es ihm beliebt. Agha-Akkassbashi leckt das Olivenöl von seinen Fingern und sagt, mein Rat lautet, wem sein Leben lieb ist, sollte hier im Iran bleiben. Gehen Sie nicht zu den Russi, sagt Agha-Akkassbashi. Es sei denn, Sie verfügen über genügend Geld und können die richtige Karawane und jenseits der Grenze die Miete für teure Unterkünfte bezahlen.
Aber die Leute sagen, dort sei das Paradies, sagt Eskandar.
Glauben Sie nicht jeden Unsinn, den die Leute erzählen. In der Karawanserei gleich hinter der Grenze habe ich Abgousht gegessen, und als ich die Knochen meines Fleisches für die Hunde in die Ecke warf, habe ich aus dem Augenwinkel gesehen, dass nicht nur die armen Vierbeiner darauf warteten, sondern auch ein paar Menschen. Sie haben sich mit den Hunden um die Knochen gestritten, und ihre Sprache war Persisch. Ich wünschte, ich könnte mehr tun für meine Landsleute, als ihnen ein ordentliches Abgousht mit Brot und allem, was dazugehört, zu spendieren, sagt Agha-Akkassbashi traurig. Ja, mein Herr, so kann es einem ergehen, wenn man den Leuten glaubt und auf die Propaganda der Russen hereinfällt.
Eskandar und Agha-Akkassbashi verstehen sich gut und schließen sich derselben Karawane an. Sie teilen ihr Brot und ihr Nachtlager und leisten sich Gesellschaft. Eskandar-Agha verdient sein Brot mit Schreibarbeiten, er erzählt Geschichten, oder er nutzt das Wissen, was er beim Mullah gelernt hat und stellt Tavis, Glücksbringer, her, sogar eine Trauung führt er durch.
Mehr als vierzig Tage sind sie unterwegs, bevor sie in der kleinen Hafenstadt Bandar-e Ansali am Kaspischen Meer ankommen, wo Agha-Akkassbashi eine Fotomaschine abholt, die per Schiff aus dem ehemaligen Reich des Zaren an ihn geschickt wurde.
Du erzählst deine Geschichten mit Worten, sagt er, ich erzähle sie mit Bildern und Zeichnungen. Ich fotografiere Menschen, Tiere, Gebäude, Blumen, Stoffe, Gewürze, Säulen, Teppiche, Landschaften, Seen, Reisfelder, einfach alles, woran mein Blick haften bleibt.
Erst jetzt, als Agha-Akkassbashi ihm Bilder zeigt, die er mit seiner Fotomaschine macht, begreift Eskandar, dass das Bild, das sein kanadischer Freund ihm von seinem Sohn gezeigt hat, und die Bilder an der Wand im Arbeitszimmer des Palang-Khan keine gemalten, sondern ebenfalls fotografierte gewesen sind.
Die meisten Fotografien sind für mich selbst, für meine Erinnerung, sagt Agha-Akkassbashi. Besonders an Tagen, an denen es mir nicht gut geht, sehe ich sie mir an, und es dauert nicht lang, da bin ich wieder guter Laune. Mein Geld verdiene ich mit Aufnahmen von Hochzeiten und Feierlichkeiten der Großgrundbesitzer, der Wohlhabenden, Gebildeten und Farangi. Einmal habe ich eine Fotografie vom erstgeborenen Sohn eines reichen Großgrundbesitzers gemacht. Er ist zusammen mit seiner Dienerschaft in derselben Karawane gereist wie ich, um in der Stadt Tabriz in eine dieser neuartigen Schulen zu gehen, in denen junge Männer nicht nur im Koran, sondern auch in Geografie, Mathematik, Poetik und Dingen unterrichtet werden, von denen ich nicht weiß, was sie bedeuten. Meine besten Kunden aber sind die Farangi. Sie verfügen über das meiste Geld, sagt Agha-Akkassbashi. Sie nehmen meine Bilder mit in ihre Heimat nach Farangestan zurück und halten damit ihre Lebenserinnerungen fest. Erinnerungen bringen die Freude an schöne Augenblicke zurück, schwärmt Agha-Akkassbashi lächelnd. Wenn man ein Bild oder eine aufgeschriebene Lebenserinnerung hat, kann man sie
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