Eskandar: Roman (German Edition)
mit seinen Kindern und Kindeskindern teilen und ihnen damit zeigen, dass man auch einmal jung und schön gewesen ist.
Erinnerungen können aber auch die Qual verlängern, sagt Eskandar-Agha und muss an die schöne Mahrokh und seine Roxana denken.
Qual oder Glück, welches von beiden du verlängerst, liegt an dir, sagt Agha-Akkassbashi.
Wie meinen Sie das?
Du kannst dich deinen düsteren Gedanken hingeben und dich für Stunden, Tage oder auch auf ewig darin verlieren, sagt Agha-Akkassbashi. Du kannst es aber auch bleiben lassen und stattdessen mir zur Hand gehen.
Wenn das so ist, gehe ich lieber Ihnen zur Hand, antwortet Eskandar und trägt die schwere Fotomaschine und das schwere hölzerne Gestell für seinen neuen Freund.
Das nächste Mal baut Eskandar-Agha die Fotomaschine auf, er schleppt Stühle, setzt und stellt die Leute ordentlich auf, richtet ihre Kleider und Hüte und sorgt dafür, dass sie in die richtige Richtung blicken und die Augen weit offen halten, während Agha-Akkassbashi unter seinem Tuch verschwindet und die Leute ablichtet.
Einen schlauen und vertrauenswürdigen Gehilfen wie dich könnte ich gut gebrauchen, sagt der Fotograf und schlägt Eskandar vor, bei ihm zu bleiben, zumal er die Sprachen der Farangi spricht.
Verehrter Agha, es wäre mir eine Ehre, aber um bei der Wahrheit zu bleiben, nur weil ich bei den Kontrollposten mit ein paar Ssänkyou und Sspassiba und dergleichen durchkomme, heißt das nicht, dass ich die Sprache der Farangi beherrsche.
Aber ich habe doch gesehen, wie beeindruckt die Russi-Soldaten gewesen sind. Sie haben salutiert und sich sogar vor dir verbeugt.
Ach, das ist nichts, sagt Eskandar. Ich habe lediglich ein paar beeindruckende Worte wie Agent, Mission, Auftrag und Regierung aneinandergereiht.
Ich mag dich, sagt Agha-Akkassbashi. Du bist gewitzt, und deine kleinen Geschichten unterhalten mich, und ich hätte dich gerne als meinen Gehilfen.
Dankbar, nicht mehr von der Hand in den Mund leben zu müssen, einen Schlafplatz zu haben und vor allem in Gesellschaft eines groß zügigen und freundlichen Mannes sein zu dürfen, nimmt Eskandar das Angebot schließlich an.
Farangi-Soldaten, Polizisten, Gesandte, Diplomaten, sogar Agenten wollen Erinnerungsfotos von sich, mit ihren jeweiligen Frauen, Kindern, Hunden, Gärtnern, Köchen, anderen Bediensteten oder ihnen vollkommen fremden Iranern: Nomaden und ihren Kamelen; inmitten einer Schafherde; irgendwo in den Bergen; vor einem zerfallenen oder uralten Gebäude und allen möglichen und unmöglichen anderen Motiven.
Sie zeigen meine Fotografien in ihrer Heimat herum, sagt Agha-Akkassbashi stolz. Meine Bilder sind der Beweis dafür, was sie alles gesehen haben und wie viel Mut sie besitzen, sich in diesem gefährlichen Teil der Welt aufzuhalten.
Die eigentlich Mutigen sind wir Iraner, erwidert Eskandar. Wir bleiben in unserem Land, obwohl die Farangi hier sind.
Deine Art, die Dinge zu sehen, sie auseinanderzunehmen und neu zusammenzufügen, ist wunderbar, sagt Agha-Akkassbashi. Du solltest es machen wie ich und deine Geschichten verkaufen. So wie ich den Leuten Bilder von ihnen selber verkaufe, kannst du ihnen ihre eigenen Geschichten und Erinnerungen aufschreiben und Geld dafür nehmen.
Nur weil die Leute für Ihre Bilder mehr Geld ausgeben, als ich am Tag zum Leben brauche, bedeutet das nicht, dass sie für meine aufgeschriebenen Geschichten auch bezahlen würden. Erzählen kann schließlich jeder, eine Fotografie machen können nur Sie.
Hör auf mich, und vertraue meiner Erfahrung, sagt der Fotomeister. Du hast die Gabe zu erzählen und gehörst zu den wenigen Menschen in unserer Heimat, die schreiben gelernt haben.
Sie sind ein wirklicher Freund, sagt Eskandar dankbar. Und ich bin froh, Ihr Gehilfe zu sein.
Eskandar-Agha lernt die Negativplatten vorzubereiten, sie ins Gerät zu schieben, er mischt die Flüssigkeiten im richtigen Verhältnis, und als Krönung seiner Ausbildung bei Agha-Akkassbashi lernt er das Belichten und Entwickeln von Bildern.
Aber am besten gefällt Eskandar, wenn er sich beim Sortieren und Beschriften der Bilder die Gesichter, die Haltung der Menschen, die kleinen und großen Gesten angucken kann. Manchmal ist es nur die Art, wie jemand den Kopf hält oder seine Kleidung trägt, woran Eskandar erkennt, um welchen Menschen, welchen Charakter es sich handelt. Ohne jede Absicht, beinah so, als würden sie sich ihm aufdrängen, fallen ihm Geschichten zu diesen Menschen ein, und sie
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