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Eskandar: Roman (German Edition)

Eskandar: Roman (German Edition)

Titel: Eskandar: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siba Shakib
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wie Mirza Kutshek-Khan, einer, von dem die Leute sagen, er lässt selbst seinem Feind gegenüber Gnade und Gerechtigkeit walten; einer der Soldaten, die den Auftrag haben, ihn zu jagen und zu ermorden, am Leben lässt und stattdessen nur mit ihnen spricht und ihnen anschließend die Freiheit schenkt, sagt Eskandar-Agha; so jemand wird doch wohl keinen Grund haben, einem unbedeutenden Menschen wie mir Schaden zuzufügen.
    Weil keiner der Djangali ihm antwortet, spricht Eskandar-Agha einfach weiter. Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht eine Geschichte über den verehrten Mirza Kutshek-Khan, seine Güte und Großzügigkeit höre, erzählt Eskandar-Agha. Die Männer im Basar sagen, der Mirza verfügt über Edelmut und ein großes Herz. Es heißt, in der Schlacht um Bandar-eAnsali ist ein Kriegsschiff der Farangi aufgetaucht und hat seine Kanonen auf die Küste und die Stadt gerichtet. Ein Farangi-Agent soll zum Mirza gesagt haben, von dem Berg dort oben könne man das Schiff treffen. Daraufhin soll der Mirza kurz entschlossen eine Kanone auf seinen Rücken gehievt und sie ganz allein den Berg hinaufgeschleppt haben. Die Leute sagen, er hätte sich dabei den Rücken verletzt, die Farangi allerdings soll er in die Flucht geschlagen haben.
    Du bist ein guter Geschichtenerzähler, sagt der Djangali und bricht endlich das bedrohliche Schweigen.
    Eskandar atmet erleichtert auf. In meiner Jugend, während der Kämpfe für das Parlament ist es mein Beruf gewesen, Geschichten zu erzählen, aus dem Koran zu rezitieren und die Männer und Pahlewan für den Aufstand zu motivieren. Aber das ist längst vergangen und vergessen. Zuletzt bin ich Gehilfe des verehrten Agha-Akkassbashi gewesen.
    Das wissen wir, sagt der Djangali. Auch dass der Fotomeister vom König in die Hauptstadt beordert worden ist, wissen wir.
    Seither mache ich wie früher wieder alle möglichen Arbeiten, um mein tägliches Brot zu verdienen, sagt Eskandar. Und wenn mir am Ende des Tages Zeit bleibt, schreibe ich Geschichten.
    Wissen wir, sagt der Djangali und lacht.
    Wenn Sie über alles Bescheid wissen, sagt Eskandar, dann sollte ich jetzt vielleicht schweigen.
    Nehmt ihm die Augenbinde ab, befiehlt der Djangali.
    Eine Weile reiten sie still, dann sagt Eskandar, seit ich hier im Norden bin, ist es das erste Mal, dass der Wald mich nicht ängstigt.
    Der Wald liebt und beschützt die Aufrichtigen, sagt der Djangali, und für den Rest des Weges lauschen sie schweigend den Geschichten, die der Wald erzählt.
    Sobald Eskandar-Agha dem Anführer der Djangali, dem großen Mirza Kutshek-Khan gegenübersteht und ihm in die Augen blickt, versteht er, warum die Menschen ihn lieben und er für sie ein wahrer Held ist. Mit seiner Würde und Güte, seiner Kraft und Männlichkeit erinnert er Eskandar an seinen früheren Meister, den verehrten Hodjat-Agha. Der Mirza entschuldigt sich für die Mühe, die er Eskandar-Agha bereitet hat, lässt ihm Tee, Brot und Joghurt bringen, und erst als er satt und ausgeruht ist, klärt Mirza Kutshek-Khan ihn darüber auf, warum er Eskandar-Agha sehen wollte. Wir haben erfahren, dass Sie der englischen Sprache mächtig sind, sagt er, und Eskandar-Agha verschluckt sich und bereut, dass er nicht auf den Rat des Fotomeisters gehört und den Norden verlassen hat.
    Die Leute übertreiben, antwortet er, mehr als ein paar Brocken sind es nicht.
    Sorgen Sie sich nicht, mein Freund, sagt der Mirza lachend. Wir hätten Sie nicht hierher bemüht, wenn wir auch nur den leisesten Verdacht gehegt hätten, Sie könnten ein Spion sein. Wir möchten Sie lediglich um einen Gefallen bitten. Eine Gruppe Engelissi hat sich uns angekündigt. Sie werden ihre eigenen Sprachkundigen dabeihaben, doch auf unserer Seite gibt es niemanden, der auch nur ein Wort ihrer Sprache beherrscht. Ich möchte Sie bitten, zuzuhören und für uns zu übersetzen, was immer Sie verstehen. Meine Männer berichten außerdem, Sie sind Schreiber und Geschichtenerzähler. Ich lade Sie ein, bei uns zu bleiben, so lange Sie wollen. Vielleicht haben Sie die Muße, auch unsere Geschichte niederzuschreiben, damit sie der Nachwelt erhalten bleibt, denn unser Leben ist wie das Licht einer Kerze im Wind, stets der Gefahr ausgesetzt, im nächsten Augenblick zu verlöschen.
    Noch am selben Abend notiert Eskandar: Der verehrte Mirza schreibt die Schuld an der Misere im Iran vor allem einer Ursache zu, dem Mangel an Bildung und Wissen. Ein Mensch, der über kein Wissen verfügt, kann nicht frei

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